: Eine Mehrheit ist viel zu wenig
Kommentar
von Bert Schulz
Umfrage zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge
Die Zahl der Menschen, die auf ihrer Flucht in Berlin ankommen, sinkt rapide – umgekehrt proportional, so scheint es, entwickelt sich deren Akzeptanz. 49 Prozent der bereits länger in Berlin lebenden Menschen spricht sich laut einer Umfrage der RBB-„Abendschau“ dafür aus, weitere Flüchtlinge aufzunehmen; 47 Prozent sind dagegen. Im Februar lag die Zahl der Gegner bei 56 Prozent.
Was wie eine frohe Nachricht klingt, ist bei genauerer Betrachtung nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer. Zwar sind die flüchtlingsfreundlichen Menschen wieder in der Mehrheit, aber die ist kaum größer als die Minderheit. 49 Prozent sind für das angeblich so tolerante, weltoffene und irgendwie linke Berlin erschreckend wenig.
Und überhaupt: Was bitte bedeutet hier Mehrheit? Schließlich handelt es sich nicht um eine demokratische Abstimmung, die eine klare Siegerin hervorbringt, egal wie knapp es letztlich ausgegangen ist. Sondern um ein Gefühl, das – wie wir aus den Erfahrungen mit der AfD wissen – allzu schnell und von Wenigen mit platten Parolen ins Gegenteil verkehrt werden kann.
Es wäre also ein leichtsinniger Trugschluss der Politik, nun zu glauben, dass, wenn nur die Zahl der ankommenden Menschen weiter sinkt, die „Flüchtlingskrise“ gemeistert sei. Im Gegenteil. Die Ergebnisse müssen Ansporn für PolitikerInnen sein, weiterhin in der Bevölkerung für Offenheit und Solidarität im Alltag zu werben. Schließlich wäre ja schon aus humanitären Gründen nur verständlich, wenn die Zahl bald wieder steigt: Alle auf europäischer Ebene ausgehandelten politischen Lösungen ändern nichts an den Fluchtursachen.
Auch werden viele von jenen knapp 80.000 Flüchtlingen, die 2015 nach Berlin kamen, noch lange hier leben, eine Wohnung, eine Arbeit, einen Kitaplatz suchen. Sie zu integrieren ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Zeit. Gelingen kann das nur, wenn die Zahl jener, die den neuen BerlinerInnen offen gegenübersteht, eine wirklich belastbare Mehrheit darstellt.
Siehe Meldung rechts
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