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StadtgesprächBringBackOurGirls

Seit zwei Jahren sind die Schulmädchen von Chibok verschwunden. Vergessen sind sie nicht

Katrin Gänsler aus Abuja

Chibok ist wieder da. „Ob man die Mädchen wohl noch findet? Und warum gibt es noch immer keine echte Spur von ihnen?“ Eine knappe Woche vor der Nacht zum 15. April tauchen all diese Frage plötzlich wieder in Nigerias Hauptstadt Abuja auf, und die Massenentführung von 276 Mädchen durch Boko Haram aus einem Internat in einem bis dahin kaum bekannten nordost­nigerianischen Dorf in der Nacht zum 15. April 2014 wird wieder allgegenwärtig. Vor zwei Jahren rückte sie den nigerianischen Terrorismus zum ersten Mal in das internationale Bewusstsein, vor einem Jahr trug sie zur Wahlniederlage des damaligen Präsidenten bei.

Der Nordosten Nigerias ist weit weg. Wer in der Hauptstadt Abuja, in der Megalopole Lagos oder in der Ölmetropole Port Harcourt wohnt und nicht gerade als Händler unterwegs ist, interessiert sich herzlich wenig für die Region am Tschadsee. Ohnehin gilt dieser Landesteil aus Sicht des Südens als rückständig, bedeutungslos und hinterwäldlerisch.

Das zeigen auch die Details, die in diesen Tagen Stück für Stück ans Licht kommen. So sagt Kashim Shettima, Gouverneur des Bundesstaates Borno, in dem Chibok liegt, dass der damalige Präsident Goodluck Jonathan ganze 19 Tage brauchte, um ihn anzurufen und zu fragen, was eigentlich passiert sei. Dank des sozialen Netzwerks Twitter hatte es im Ausland bis hin zu Michelle Obama und Carla Bruni schon längst Entsetzen über die Massenentführung gegeben, und Jonathan musste handeln. Nicht ganz unschuldig an der Verzögerung ist jedoch auch Shettima selbst. Auf die Frage, warum er denn nicht selbst den Präsidenten angerufen habe, musste er vor Jour­nalisten der On­line­zei­tung Premium ­Times eingestehen: „Ich war einfach zu beschäftigt.“

Auch deshalb hieß es vor allem im Süden Nigerias gerne: Die Entführung der Schulmädchen hat es nie gegeben. Sie ist eine bloße Verschwörungstheorie, mit der – ziemlich genau ein Jahr vor dessen möglicher Wiederwahl – Expräsident Jonathans politisches Ende eingeleitet werden sollte. Jetzt bedient Ayodele Fayose, Gouverneur in Ekiti im Südwesten, dieses Märchen erneut. Eigenen Angaben zufolge soll er herzlich gelacht haben, als die Aktivisten von #BringBackOurGirls die sofortige Freilassung der Mädchen forderten. „Ich weiß doch gar nicht, ob sie tatsächlich verschwunden sind.“

Sorgen bereitet eines tatsächlich: Seit einem Jahr – und dem politischen Machtwechsel von Goodluck Jonathan zu dem aktuellen Präsidenten Muhammadu Buhari – hat die Armee eigenen Angaben zufolge Tausende ­Kinder und Frauen aus der Gefangenschaft Boko Harams befreit. Noch immer werden im Sambisa-Wald, Boko Harams Rückzugsgebiet, immer neue Verstecke der Terroristen entdeckt. Von den Mädchen und Frauen, die die Armee dort fand, waren viele schwanger; einige haben über ihre Monate bei der Terrormiliz gesprochen und grausame Dinge berichtet: Sie wurden vergewaltigt, zwangsverheiratet, zu Selbstmordattentäterinnen ausgebildet. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen haben das dokumentiert. Doch von den Chibok-Mädchen fehlt noch jede Spur.

Ein paar der anfangs 276 Entführten konnten zwar fliehen, doch laut #BringBackOurGirls fehlen 219 bis heute. Ab und zu tauchen Gerüchte auf, dass Selbstmordattentäterinnen aus Chibok stammen könnten. Bei einem Anschlag im Nachbarland Kamerun wurde gerade wieder darüber spekuliert. Doch der Verdacht hat sich stets als falsch erwiesen.

Nicht aufgeben will deshalb Obiageli Ezekwesili, einstige Bildungsministerin und Mitgründerin von #BringBackOurGirls. „Wir müssen die Opfer so wichtig machen, dass sie nicht ignoriert werden können“, hat sie in dieser Woche bei einer Reise in die USA gesagt. In Abuja trifft sie sich mit weiteren Aktivisten noch immer jeden Nachmittag ab 16 Uhr am Unity Fountain im Stadtzentrum.

Größere Aktionen sind nun für die kommende Woche geplant. Dazu gehört auch eine Gedenkveranstaltung am Donnerstag, die die Regierung sogar genehmigt hat. In Chibok.

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