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Viel Geist und wenig Autorität

5. PUNKFILMFEST BERLIN Anschauungsmaterial nicht nur für Rüpel: Im Kreuzberger Kino Moviemento laufen im Rahmen von „Too Drunk to Watch“ interessante Dokumentationen mit Punkbezug aus der ganzen Welt

Lufthoheit: Unwanted aus Winnipeg mit blutjungen Fans, Szene aus „Piss on You“ Foto: Punkfilmfestival

von Jens Uthoff

Mit der Historisierung von Punk und Postpunk ist die Kulturindustrie zuletzt sehr beschäftigt gewesen – an Dokumentationen in Form von Büchern oder Filmen mangelt es wahrlich nicht. Trotzdem gut, dass sich in der Stadt ein Festival etabliert hat, um – überwiegend dokumentarischen – Filmen über die wichtigste Jugendkulturbewegung der siebziger und achtziger Jahre Raum zu geben. Der Erfolg gibt ihm recht: Das Punkfilmfest Berlin im Kreuzberger „Moviemento“ steigt zum fünften Mal.

„Too Drunk to Watch“, so sein nicht empfehlenswertes Motto, stellt eine Besonderheit im Reigen der Punk-Narrative dar. Denn das Team um Festival-Ini­tiator Cornelius Schulz lenkt den Blick auf Szenen, von denen man bis dato nicht viel wusste. Da werden etwa lokale Phänomene aufgegriffen wie die frühe Punkszene im kanadischen Winnipeg („Piss on You – Winnipeg’s early punk scene“) oder die Entwicklung der polnischen Rock- und Punkszene („History of Polish Rock – To The Future“) wird beleuchtet. Und über Punk in Mosambik und Simbabwe dürften die Wenigsten etwas wissen („Punk in Africa“).

Keine Musealisierung

"Too Drunk to Watch"

Alle 21 Langfilme und die Kurzfilmreihe (Sa., 16 Uhr) sind im Moviemento, Kottbusser Damm 22, in Kreuzberg zu sehen.

Tickets für die Filme kosten 7 Euro, es gibt eine Sechserkarte für 33 Euro. Programm: www.toodrunktowatch.de.

Parallel finden Konzerte im Schokoladen statt: Am 7. April spielen die polnische Punkband Uliczny Opryszek und die Berliner Gruppe Panika, am 9. April treten dort die Leipziger Combo Die Uiuiuis und der Liedermacherpunk YOK auf. (jut)

Gut ist es, dass auch ältere Filme ins Programm aufgenommen werden, denn einen Dokumentarfilm über die britische Anarchopunkband Crass würde man sonst niemals auf der Kinoleinwand zu sehen bekommen. „There is No Authority but Yourself“ (2006), so der Filmtitel, der sich auf einen Crass-Slogan bezieht, zeigt die Biografien einiger Mitglieder der zwischen 1977 und 1984 wirkenden Band. Crass sahen sich damals als Gegenspieler der kommerzielleren Punkbands und sorgten mit ihrem Design und ihren politischen Aktionen für Aufsehen. Der Film des Niederländers Alexander Oey entgeht der Falle bloßer Musealisierung, indem er zeigt, wie Crass-ProtagonistInnen – Sänger Steve Ignorant, Drummer Penny Rimbaud, Art-Designerin Gee Vaucher, Sängerin Eve Libertine – gut 20 Jahre nach Bandauflösung leben. Das ist so erhellend wie amüsant: Penny Rimbaud schreitet nackend über das Anwesen jener Landkommune, die Crass einst als „Open Creative House“ gründeten und die inzwischen einem Ökodorf gleicht. Man schaut Dias aus alten Zeiten mit dem Filmemacher. Sänger Steve Ignorant, glatzköpfig und mit Bomberjacke, sieht man derweil mit Freundin in einem Reihenhäuschen, zu ihren Füßen ein kleiner Bullterrier-Mischling.

Während Penny Rimbaud eher reflektiert über Crass erzählt („Wir versuchten zu zeigen, dass es möglich ist, außerhalb des vorgegebenen Rahmens zu existieren”), schildert Ignorant den Impetus der Band etwas direkter. Was die Message von Crass gewesen sei? „Fuck Off You Bastards. I Hate You. I Want More Money. Why Do I Have To Work? Stop Telling Me What To Do. (…) Was junge Männer eben sagen, wenn sie wütend sind.“

Genauso gibt es bewegende Momente, wenn Ignorant, inzwischen im Pub Fußball schauend, berichtet, wie er sich im Kreise der Band erstmals in seinem Leben respektiert gefühlt habe: „Es war jemand interessiert an meiner Meinung, das war eine große Sache.“ Die Bedeutung von Crass, vor allem die entscheidende Rolle, die der Do-it-yourself-Gedanke im Ethos der Band gespielt hat, kommt in jeder Minute rüber. Zudem erzählt er auf verschiedenen Ebenen etwas über die britische Gesellschaft und ihre Klassenfrage.

Heterogene Jugendkulturen

Toll: Das Programm lenkt den Blick auf Szenen, von denen man nichts wusste

Black Hole – Uno sguardo sull’underground italiano“ (2015), eine Dokumentation über die Geschichte des Italo-Undergrounds, fällt dagegen etwas ab. „Uno sguardo“, also einen Blick wirft der Film von Turi Messineo in sehr unterschiedliche Subkulturen: Punk, HipHop, Graffiti, Skinheads – selbst die Geschichte der Centri Sociali (Sozial- und Kulturzentren) und Squats wird aufgegriffen. Man bekommt höchstens einen oberflächlichen Einblick in die verschiedensten Szenen in Bologna, Mailand oder Palermo. Ein Manko ist es, dass er den Protagonisten nicht nahekommt – nur manchmal wird klar, welche Bedeutung die Szenen für die Beteiligten haben. Das größere Problem ist, dass jede Subkultur einen eigenen Film bräuchte, damit sie adäquat abgebildet werden kann – Graffiti-Szene oder Punk in Italien waren und sind extrem heterogene Jugendkulturen.

Die Mischung des Programms ist dennoch gelungen: Mit dem kanadischen TrashKurzfilm „Skate Bitches“ (2012) hat man etwa eine völlig abgedrehte, absurde und rotzig-feministische Super-Low-Budget-Produktion über Skateboarderinnen im Programm. Sie zeigt anschaulich, was es braucht, das Lebensgefühl von Punk für sich zu entdecken: eine Handvoll Leute, ein bisschen Geist und Witz – und vielleicht noch ein Skateboard oder eine Gitarre.

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