portrait: Der, der über den Deal wacht
Wenn es in Brüssel jemanden gibt, der an die tragische Figur des Sisyphos erinnert, dann ist es Dimitris Avramopoulos. Monatelang kämpfte der EU-Kommissar für Flüchtlingsquoten und eine solidarische Lastenteilung unter den EU-Staaten. Bis zuletzt glaubte der gebürtige Athener, Jahrgang 1953, daran, dass man seine Heimat Griechenland nicht allein im Regen stehen lassen würde.
Doch am Ende musste auch er den schmutzigen EU-Deal mit der Türkei schlucken, der von Kanzlerin Angela Merkel ausgehandelt worden war. Nun müssen die griechischen Behörden Abschiebelager auf den Ägäis-Inseln errichten und hilflose Frauen und Kinder in die Türkei zurückschicken. Avramopoulos kommt die undankbare Aufgabe zu, über die Umsetzung dieses umstrittenen Deals zu wachen.
Immerhin bringt er dafür die passenden Voraussetzungen mit. Als prominentes Mitglied der konservativen Neo Dimokratia steht Avramopoulos sowohl Merkel als auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker politisch nahe. Bevor er 2014 von Athen nach Brüssel wechselte, war er zudem als Außen- und als Verteidigungsminister tätig. In diesen Ämtern lernt man, in den sauren Apfel zu beißen.
Während der Flüchtlingskrise musste er immer wieder sein eigenes Land, Griechenland, kritisieren. Für Furore sorgte er Mitte Februar, als er im Pressesaal der Kommission eine spanische Journalistin beschimpfte. Sie hatte es gewagt, nach dem offensichtlichen Scheitern der EU zu fragen. Da raunzte Avramopoulos zurück: „Kritik zu üben, ist immer leicht. Wir tun genau das, was wir tun können“, polterte der Kommissar.. „Wenn die Mitgliedstaaten auch getan hätten, was sie sollten, dann sähe die Situation jetzt ganz anders aus!“ Es war einer der seltenen Momente der Wahrheit in Brüssel. Avramopoulos sprach aus, was viele EU-Kommissare denken: Schuld sind die EU-Staaten, nicht Brüssel.
Am Ende wird man aber ihm, dem Flüchtlingskommissar, die Schuld geben, wenn etwas schiefgeht. Und schiefgehen kann einiges. Die Flüchtlingskrise ist nicht beendet. Sie in geordnete Bahnen zu lenken, bleibt eine Sisyphosaufgabe. Bisher zeigt Avramopoulos noch keine Zeichen der Ermüdung. Eric Bonse
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