: Zwei Mäuse knabbern die Wände an
GESPENSTERGESCHICHTE Geschehnisse im Stadtschloss als Hörspiel: „Who Ya Gonna Call? Schlossbusters!“ von der Theatergruppe copy & waste verwandelt das Ballhaus Ost in einen witzigen Indoor-Vergnügungspark
von julika bickel
Neben der Bar steht eine Maschine, mit der man seine Geister scannen kann. Ein Schamane leitet die Prozedur. Der bärtige Klabautermann in weißer Kleidung klemmt ein Kabel an mein Ohrläppchen. Die rechte Hand lege ich auf eine Plasmalampe, mit der linken umgreife ich eine Stange. „Schließe nun die Augen“, sagt er. Lichtblitze, ein Rascheln, dann darf ich sie wieder öffnen. Wie bei einer Sofortbildkamera kommt aus einem Schlitz ein Geisterdiagramm heraus. Darauf ist zu sehen: 40 Prozent Gespenster der ökologischen Vernunft, 29 Prozent Experimentierdämon, 19 Prozent Berggeist und 12 Prozent Post-mortem-Spuk.
Süß und cremig
„Möchtest du irgendwelche Geister austreiben oder die Prozente von einem erhöhen?“, fragt der leitende Schamane. Mehr vom Berggeist wäre schön, da ich öfter wandern gehen will. Um ihn zu maximieren, trinken die Assistentin des Schamanen und ich einen Shot, der süß und cremig schmeckt.
Derart spukt es seit Donnerstag im Ballhaus Ost. Die Berliner Theatergruppe copy & waste hat den Saal in einen Indoor-Vergnügungspark verwandelt. Inspiriert von den Ghostbusters-Filmen aus den Achtzigern haben sie ihr Projekt „Who Ya Gonna Call? Schlossbusters!“ genannt. Es geht dabei nicht nur um persönliche Geister, sondern vor allem um die der Stadt. Gespenster sind an Orte gebunden. Erinnerungen haften an Gebäuden. Manche davon will man bewahren, andere lieber vertreiben. Konkret fragt das Künstlerkollektiv: Wofür braucht Berlin ein Stadtschloss?
Mit einem witzigen Hörspiel, das durchgängig im ganzen Saal läuft, erzählt copy & waste die Geschichte des Schlosses. Die drei Parapsychologen aus „Ghostbusters“ gehen auf Geisterjagd im jetzigen Rohbau, der für sie wie das Berghain aussieht. Man hört historische O-Töne, zum Beispiel von Karl Liebknecht, der 1918 vom Balkon des Schlosses die Republik ausruft. Während des Zweiten Weltkriegs zerstörte ein Feuer große Teile des Berliner Schlosses. Die SED sprengte im Jahr 1950 die Ruine und baute in den Siebzigern auf dem Gelände den Palast der Republik – einen Stahlbau, der zum zentralen Veranstaltungsort der DDR wurde. Dieser wiederum wurde zwischen 2006 und 2008 abgerissen. Seit 2012 wird das Schloss wiedererrichtet. Architekt Franco Stella will die Barockfassaden originalgetreu rekonstruieren. Die Innenräume sollen hingegen modern gestaltet und als öffentliche Archive sowie Museen genutzt werden. Letztes Jahr Mitte Juni wurde der Rohbau einschließlich der Kuppel fertig.
Der Streit über den Wiederaufbau drehte sich auch um die damit verbundene Symbolpolitik. Welche Geister der Vergangenheit werden auf das repräsentative Tablett gehoben? Wie will Berlin nach außen wirken? Welches Gespenst gewinnt das Machtspiel? copy & waste versucht die Besucher*innen nicht von einer Position zu überzeugen, sondern regt humoristisch zum Diskurs an.
Schade ist, dass man dem aufwendig produzierten Hörspiel nur selten aufmerksam zuhört. Es gibt so viele andere Attraktionen zu entdecken. In einem Video hält das grüne Gespenst Slimer einen Vortrag über den Nutzen und die Nachtteile, unter Menschen zu leben. Er sagt: „Die Städte gehören uns, die Menschen wissen es nur nicht.“
Selfies von Eisbär Knut
Plötzlich taucht Eisbär Knut auf und schießt Selfies. Auf der anderen Seite des Saals steht ein begehbares Häuschen, für dessen Barockfassade aus dünnem Holz und Papier gespendet werden kann. Zudem gibt es dort einen Fragebogen zu den Bürger*innenrechte für Geister. Eine Frage lautet: „Finden Sie, auch Geistern sollte es möglich sein, eine Ehe einzugehen?“ Im Keller des Schlosshäuschens kann man bei Schwarzlicht eine Fotogalerie der schrecklichen Geister betrachten: Soldaten aus dem Dreißigjährigen Krieg, Leichen in Konzentrationslagern, Neonazis und der tote Flüchtlingsjunge am Strand.
In einem Puppenschloss knabbern zwei Mäuse Möbel und Wände an. Auf der Showbühne mit Fenstern, die an den Palast der Republik erinnern, singt eine Frau im weißen Gewand „Who Ya Gonna Call?“ und malt unsichtbare Bilder auf eine Leinwand. Während ich über Berlins Architektur und meine Beziehung zu den Geistern der Stadt nachdenke, fällt mir ein, dass auch an Ostern mit der Auferstehung Jesu ein Geist gefeiert wird. Die Premiere an Ostern kann kein Zufall sein.
Wieder am 12. / 13. / 14. / 15. / 16. April, 20 Uhr
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