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Der Kick des radikalen Hörens

Feine Musik Prenzlauer Berg ist die Heimat der Edition RZ – eines Fachlabels für Neue Musik und andere Seltsamkeiten, die mit etwas Hilfe vom Rundfunk und von alten Postkarten in die Welt gebracht werden

Ein Klassiker im Edition-RZ-Programm: die brüllend komische radiophonische Collage von Ror Wolf mit gesammelten Fußballweisheiten: „Der Ball ist rund“. Umseitig „Schwierigkeiten beim Umschalten“. Als schicke Picture-Disc. Vergriffen Foto: taz

von Andreas Hartmann

Seit 32 Jahren gibt es nun schon die Edition RZ, für ein kleines Musiklabel ist das eine ganze Weile. Wenn man bedenkt, in welcher Sparte die Plattenfirma tätig ist, wirkt deren hohes Alter erst recht erstaunlich. Denn ihr Betreiber, Robert Zank, widmet sich hauptsächlich der sogenannten Neuen Musik, also zeitgemäßer Klassik. John Cage, Helmut Lachenmann, Luigi Nono, Aufnahmen solcher Komponisten hat er im Programm, von ra­dikalen Neutönern des ausgehenden 20. Jahrhunderts und heute, deren Musik noch nie ein besonders breites Publikum angesprochen hat.

Weltweit gibt es nicht viele Labels, die sich überhaupt um diese Art von Musik kümmern, die kleine Edition RZ gehört noch mit zu den bekanntesten dieser Nischenfirmen. „Eigentlich komme ich vom Postpunk“, erzählt Robert Zank in seinem kleinen Büro in einem Hinterhof im Prenzlauer Berg, „genauer gesagt: vom Industrial. Throbbing Gristle und so.“ Ein Freund habe ihn dann in die Welt der Neuen Musik eingeführt, und damit sei es um ihn geschehen gewesen. Die Experimente und Klangforschungen aus dem Bereich der Hochkultur seien ihm einfach so viel radikaler vorgekommen als die avantgardistischsten Bemühungen der Popmusik.

Eigene Aufnahmen anzuschieben, das kann sich die Edition RZ nicht leisten. Zank kramt ein Infoheft von Deutschlandradio Kultur hervor und erklärt, wie er arbeitet. „Wir haben den besten öffentlichen Hörfunk der Welt“, sagt er, und dessen Programm durchforstet er akribisch. WDR, NDR, Deutschlandfunk und auch das Kulturradio vom RBB, all diese Sender räumen der Neuen Musik ziemlich viel Platz ein, auch aufwendige Produktionen aus diesem Bereich gehen hier täglich über den Äther. Stößt Zank dabei auf für ihn Herausragendes, fragt er um die Rechte für eine CD-Produktion an. Öffentliche Gelder bekommt er dafür selten, und das, obwohl ohne hohe Subventionen im Bereich der Neuen Musik sonst gar nichts geht. Und wenn doch einmal irgendeine Stiftung etwas bezuschusst, sei das trotzdem meist zu wenig, so Zank.

„Wir haben den besten öffentlichen Rundfunk der Welt“

Robert Zank, Edition RZ

Die Edition RZ ist alles andere als thematisch festgefahren. Der Schwerpunkt ist Neue Musik, veröffentlicht wurden aber auch Philosophisches, Vorlesungen und Rundfunkvorträge etwa von Hans-Georg Gadamer. Auch die Fußballcollage „Der Ball ist rund“ von Ror Wolf, längst ein Hörspielklassiker, wurde von Robert Zank als Tonträger veröffentlicht. Als Picture-Disc, mit einem Lederfußball vorne drauf.

Wirklich leben kann Zank von seiner Labelarbeit schon seit einer Weile nicht mehr. Von seinem Schreibtisch holt er eine Postkarte, ein Weihnachtsmann stapft auf dieser durch das Brandenburger Tor, umringt von Schneemännern, die Spalier stehen. Derartige skurril anmutende Postkarten sucht Zank auf Flohmärkten und lässt sie nachdrucken. „30 Jahre Edition RZ“ steht auf der Rückseite der Karte.

Das Geschäft mit den Postkarten laufe gar nicht so schlecht, sagt Zank. Sein Label dagegen hat der Einbruch der CD voll erwischt, und Spotify ist für die Art von Musik, die Zank im Programm hat, keine Alternative. Dabei sind seine CDs kleine Schmuckstücke, haben ein Corporate Design, ähnlich der Edition Suhrkamp, und stets gibt es ausführliche Linernotes dazu.

Schon des Öfteren habe er überlegt, alles hinzuschmeißen, erzählt Zank, aber irgendetwas habe ihn dann doch jedes Mal bewogen, weiterzumachen. Beispielsweise die Musik von Jakob Ullmann, inzwischen eine Art Hauskomponist der Edition RZ.

Ein geldbringender Ostergruß Foto: Abbildung: Sammlung Zank

Zank bekommt ein Leuchten in die Augen, wenn er von Ullmann erzählt, man spürt, dass da immer noch diese Mission ist, den Leuten ungewöhnliche Musik näherzubringen. Er legt eine CD von Ullmann auf und reicht dazu ein kleines Törtchen, das er seinem Gast extra mitgebracht hat. Man hört ein leises Schaben, Kratzen und Flirren, meist an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit. Stille, die ziemlich aufregend klingt. In Deutschland ist der in der DDR geborene Ullmann immer noch ziemlich unbekannt, ein Außenseiter auch innerhalb der Neuen-Musik-Szene. „Zum Glück jedoch gibt es die Leute von dem englischen Magazin Wire“, berichtet Zank, „die haben Ullmann für sich entdeckt.“ Tatsächlich hat das weltweit bekannte englische Musikmagazin für Avantgarde aller Art dem deutschen Komponisten sogar eine Titelgeschichte gewidmet, für die Edition RZ hat das einen kleinen Wahrnehmungsschub bedeutet.

Aber was heißt das schon. Sonntags schaut sich Robert Zank jedenfalls immer noch nach originellen Postkarten auf dem Flohmarkt am Boxhagener Platz um.

Eben erschienen: Clara Iannotta: „A Failed Entertainment“.Gabriele Emde: „Die Natur der Klänge“. Neue Musik für Harfe von John Cage, Hans Otte und Lou Harrison

www.edition-rz.de

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