Belgien

Zwei Brüder sind als Selbstmordattentäter identifiziert. Die Belgier
trauern um die Opfer – lassen sich aber nicht unterkriegen

Die EU ist in der Defensive

Europaviertel Frankreichs Premier fordert einen EU-Sicherheitspakt. Polizei sieht Zusammenhang zwischen Anschlägen in Paris und Brüssel

Die Polizei durchkämmt ganze Stadtteile. Und ein Länderspiel wird verlegt – nach Portugal

Aus Brüssel Eric Bonse

Am Tag danach geht das Leben im Brüsseler Europaviertel wieder seinen gewohnten Gang. Zwar bleibt die Metrostation Maelbeek geschlossen, bei der am Dienstag 20 Menschen ums Leben gekommen waren. Doch kaum 500 Meter weiter, in der EU-Kommission, herrscht wieder Hochbetrieb.

Manuel Valls, Frankreichs Premierminister, kam am Mittwoch zum lang geplanten Besuch in die EU-Behörde – trotz höchster Terrorwarnstufe. Ein Zeichen der Solidarität. Und eine Kampfansage.

„Wir sind im Krieg. Wir erleiden in Europa seit mehreren Monaten Kriegsakte“, hatte Valls schon am Dienstag erklärt. In Brüssel wiederholt er diese scharfen Worte – im Gegensatz zu EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der das Wort „Krieg“ nicht in den Mund nimmt. Außerdem fordert Valls einen „europäischen Pakt für die Sicherheit“.

Doch was soll dieser Pakt beinhalten? Schärfere Kontrollen an den Außengrenzen des Schengenraums? Das hat die EU längst beschlossen. Einen besseren Informationsaustausch der Behörden? Das kündigen die EU-Staaten schon lange an, bisher erfolglos. Ein umfassendes System zur Kontrolle der Flugpassagierdaten (PNR)? Das hängt im Europaparlament fest.

Erst im April ist – wenn überhaupt – mit Beschlüssen zum PNR zu rechnen. Bis zur Umsetzung dürften weitere Monate vergehen. „Wir dürfen nicht immer warten, bis die Probleme schon akut sind“, warnt Juncker. „Wenn Europa jetzt nicht endlich sein Schicksal in die eigene Hand nimmt, droht der Zerfall“, setzt Valls fast beschwörend nach.

Die EU ist wieder einmal in der Defensive – während die Terroristen wohl schon die nächsten Angriffe planen. Davor warnt jedenfalls Europol, die europäische Polizeibehörde in Den Haag.

Auf 3.000 bis 5.000 schätzen die Europol-Experten die Zahl gewaltbereiter Anhänger des „Islamischen Staats“ (IS) in Europa. Terroristen würden mittlerweile nicht mehr nur in Syrien, sondern auch in EU-Staaten und Balkanländern ausgebildet. Auch die Anschläge würden nicht mehr in Syrien, sondern von einer Kommandoeinheit in Europa geplant.

So war es offenbar auch bei den Attentaten von Brüssel und Paris. Die ersten Ermittlungen der belgischen Behörden weisen darauf hin, dass zwischen dem Terror vom 13. November in der französischen Hauptstadt und den Attacken auf die EU-Kapitale am Dienstag ein enger, verhängnisvoller Zusammenhang besteht.

Die Brüsseler Ermittler identifizierten zwei Selbstmordattentäter: Khalid und Ibrahim El Bakraoui. Die Brüder sollen enge Kontakte zu der Terrorzelle unterhalten haben, die in Paris zugeschlagen hatte. Laut belgischen Medien mieteten sie im belgischen Charleroi Wohnungen an, die als Unterschlupf für die Paris-Attentäter dienten.

Bei den Anschlägen in Brüssel trennten sich ihre Wege: Während der 27-jährige Khalid die Explosion in der Metro verursachte, soll Ibrahim eine der Flughafenbomben gezündet haben. Beide waren den belgischen Behörden als bewaffnete Schwerverbrecher bekannt, aber nicht als Terroristen.

Als Verbindungsmann zwischen Brüssel und Paris gilt Najim Laachraoui. Der 24-jährige Belgier gilt als Experte für Sprenggürtel und Nagelbomben. Nach der Festnahme des mutmaßlichen Paris-Attentäters Salah Abdeslam gilt Laachraoui als „Enemy No. One“ der belgischen Behörden.

Ein Zusammengang zwischen den Attentaten in Paris und Brüssel wäre ein weiteres Alarmsignal. Dann müsste man von einer Art Schneeballsystem ausgehen, bei dem ein Terrorakt den nächsten auslöst – und bei dem sich hinter jeder IS-Zelle eine weitere verbirgt. Es wäre ein Worst-Case-Szenario.

„Die Gefahr ist noch nicht gebannt“, betonte denn auch die Brüsseler Staatsanwaltschaft. Die Polizei durchkämmte ganze Stadtteile und mahnte zu Vorsicht. Das Fußball-Länderspiel zwischen Belgien und Portugal wurde verlegt – von Brüssel in das portugiesische Städtchen Leiria.

Im Europaviertel hingegen trotzt man dem Terror. Die EU-Kommission sei kein direktes Ziel der Attentäter gewesen, begründete der Sprecher von Kommissionschef Juncker die hastige Rückkehr zur Normalität. Mitarbeiter der EU-Behörde durften am Mittwoch entscheiden, ob sie von zu Hause aus arbeiten. Fast die Hälfte entschied sich fürs Homeoffice.

Donnerstag soll wieder der Alltag einkehren. Dann treffen sich mal wieder die EU-Innenminister in Brüssel. Hauptthema der Sondersitzung: Der Kampf gegen den Terror.