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Hände hoch, Daten her

Datenschutz Volker Tripp von der „Digitalen Gesellschaft“ über die EU-Fluggastdatenrichtlinie PNR und was man noch dagegen tun kann

von Volker Tripp

Bei Flügen von der und in die EU sollen bis zu 60 Einzeldaten pro Passagier und Flug für insgesamt fünf Jahre gespeichert werden. Auch bei innereuropäischen Flügen soll diese Datenerfassung stattfinden. So sieht es die Fluggastdatenrichtlinie (EU-Passenger Name Record, kurz EU-PNR) vor, die das Europäische Parlament im Juni 2016 verabschieden will. Die neue Vorratsdatenspeicherung würde für den Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität benötigt, so die Behauptung. Beweise für den Nutzen dieser uferlosen Datensammlung gibt es bis heute allerdings nicht. Es wird höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

Angesichts des Entsetzens, welches brutale und rücksichtslose Taten wie die jüngsten Terroranschläge von Brüssel auslösen, wird schnell der Ruf nach schärferen Sicherheitsgesetzen laut. Diese Reaktion ist menschlich verständlich und leider ebenso sachlich falsch. Ein Blick nach Frankreich, das im vergangenen Jahr zwei solcher schrecklichen Attacken verarbeiten musste, zeigt gerade, dass mehr Überwachung keineswegs mehr Sicherheit bedeutet. So führte unser Nachbarland schon 2006 Vorratsdatenspeicherung, Überwachung von Fluggastdaten und flächen­deckende Videoüberwachung ein und verabschiedete erst im Juni letzten Jahres ein Anti-Terror-Paket, mit dem die behördlichen Befugnisse zur Sammlung personenbezogener Daten massiv ausgeweitet wurden. Dass es dort gleichwohl erneut zu solch schrecklichen Anschlägen kommen konnte, muss vielmehr als Beleg für die Unwirksamkeit überbordender Überwachungsmaßnahmen bei der Bekämpfung terroristischer Gewalttaten verstanden werden.

In der Tat fällt es schwer nachzuvollziehen, wie etwa Angaben zum Sitzplatz, zu Essenspräferenzen und zum gesundheitlichen Zustand der Fluggäste hilfreich bei der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität sein könnten. Gleichwohl sollen diese und zahlreiche weitere Informationen gemäß der geplanten EU-PNR-Richtlinie künftig bei jeder Flugbuchung für jeden einzelnen Passagier erhoben und gespeichert werden, ohne dass es dazu eines besonderen Anlasses oder gar eines konkreten Verdachts bedarf. Selbst Beobachtungen und Behauptungen, welche Airline-Angestellte ungeprüft, willkürlich und ohne Wissen der betroffenen Person in ein Freitextfeld eintragen, werden festgehalten.

Sechs Monate lang sollen diese Daten den Ermittlungsbehörden uneingeschränkt zur Verfügung stehen, bevor sie für weitere viereinhalb Jahre in „depersonalisierter“ Form gespeichert und nur auf vorherigen Richterbeschluss hin wieder vollständig lesbar gemacht werden. Während des gesamten Zeitraums werden die Informationen mit anderen Datenbanken abgeglichen, gerastert und von Profiling-Algorithmen analysiert. Ziel dieses sogenannten Data-Minings ist es, bislang unbekannte Verdächtige aufzuspüren und problematische Verhaltensmuster zu identifizieren. Die Behörden der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten tauschen die gespeicherten Daten dabei nicht nur untereinander und mit der europäischen Polizeibehörde Europol aus. Zulässig ist auch der Transfer an Drittstaaten, welche die Daten wiederum an andere Staaten weiterleiten dürfen. Was dort mit den Informationen geschieht, entzieht sich der Kontrolle hiesiger Behörden oder Datenschutzbeauftragter.

Kampagne #NoPNR

In kurzen, selbstgedrehten Videos sollen Abgeordnete dazu aufgerufen werden, gegen die Richtlinie PNR zu stimmen. Ob mit Videokamera oder Smartphone aufgenommen, ob mit vorbereitetem Text oder frei gesprochen: Auf Perfektion kommt es weniger an als auf die persönliche Note. Prominente Unterstützer wie Constanze Kurz von netzpolitik.org oder der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar haben bereits Videos beigesteuert. Anleitung und Beispielvideos gibt es unter: digitalegesellschaft.de

Mit EU-PNR steht Europa also die nächste gigantische Vorratsdatenspeicherung bevor. Dabei hatte der Europäische Gerichtshof der massenhaften Sammlung personenbezogener Daten bereits mit seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten im April 2014 eine klare Absage erteilt. Wegen ihres anlasslosen Charakters und der zu langen Speicherdauer von bis zu zwei Jahren verwarfen die Richter die zugrundeliegende Richtlinie damals als unverhältnismäßigen Eingriff in die EU-Grundrechte auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten. Im Falle der EU-PNR-Richtlinie sind sowohl der zu bevorratende Datensatz als auch die Speicherdauer sogar noch weitaus umfangreicher, sodass sich die Grundrechtswidrigkeit des Vorhabens geradezu aufdrängt.

Gleichwohl treiben die verantwortlichen EU-Institutionen die Verabschiedung der Richtlinie unbeirrt voran. Allein die finale Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments, die voraussichtlich im Juni stattfinden wird, steht aktuell noch aus. Deshalb ist es nun umso wichtiger, die Abgeordneten zu kontaktieren und sie aufzufordern, gegen die anlasslose Protokollierung des Flugverkehrs zu stimmen.

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