: Schlechter Sex, vollendete Verse
Lyrik Bei der Wollust läuft Christian Maintz zu großer Form auf: „Liebe in Lokalen“
von Silke Burmester
Christian Maintz ist ein komischer Vogel. Ich weiß das, denn ich habe ihn schon häufiger auf der Bühne gesehen. Bei Lesungen, die er mit Harry Rowohlt hielt, oder bei taz-Abenden, an denen Susanne Fischer, Gerhard Henschel und ich unsere im besten Falle komischen Geschichten vorlasen und Christian Gedichte beitrug.
Christian Maintz lehrt irgendwas mit Film, was man ihm aber nicht anmerkt. Er lebt in einem sehr langweiligen Stadtteil von Hamburg und macht einen sehr bürgerlichen Eindruck. Bürgerlich im Sinne von „anständig“ und „im Rahmen“.
Und dann die Bühne. Auch da ist er das: anständig. Im Rahmen. Immer. Nie, so glaube ich, würde er, wie etwa sein Counterpart Rowohlt es viele Jahre kultivierte, ausfallend werden oder zu betrunken sein, um noch zu merken, wie viel Uhr es ist. Auch sein Lesen ist: hochanständig. Klang- und formvollendet schwingen die Worte aus seinem Mund. Wie Wellen fließen Sätze in den Raum, Stück für Stück und ergeben ein grandioses Ganzes, für das er bereits zweimal mit dem Wilhelm-Busch-Preis ausgezeichnet wurde: ellenlange, fein pointierte und zum Brüllen komische Philosophenzwistigkeiten zwischen Schopenhauer und Hegel, das Potenzgebaren von Schiller und Goethe, Hickhack zwischen Luhmann und Habermas. Kurze knappe acht Zeilen über „Mensch und Reiher“ oder das innige Begehren des Ebers „Horst“ auf 58 Zeilen.
Überhaupt, der Sex! Oder soll man sagen, die Wollust? Das Begehren? Der Trieb? Der Sinnestaumel? Die Lüsternheit? Die Wonne? Die Begierde? Die Leidenschaft? Das Dürsten nach Beischlaf? Neben der Abbildung der Welt der Dichter und Denker, mit der Maintz aufs Geschliffenste die Forderungen des Bildungsbürgertums nach Geist und Kenntnis befriedigt, treibt das Thema Ficken den Dichter an und um. Immer und immer wieder schleicht sich die Faszination, die Kopulation und ihre Voraussetzungen für ihn haben, in seine Dichtkunst ein und lässt Mainz zu großer Form auflaufen. Etwa wenn er den Sinnestaumel zweier Bahnreisender zwischen Bremen und Kassel-Wilhelmshöhe beschreibt. Oder wenn der Nashornbulle Waldemar Verhaltensauffälligkeiten zeigt: „Warum er tobt? Warum er klagt? Er hat heut Nacht im Bett versagt.“
Die sprachlichen Pirouetten, die er zur Darlegung der Triebhaftigkeit aufführt, sind vor allem eines: komisch. Mittels feinsten Humors, gepaart mit dem unerbittlichen Blick eines Verhaltensforschers, weidet der Dichter das Thema aus, um es in höchster sprachlicher und rhythmischer Vollendung in die Zeilen zu zwingen.
Und so sitzt man mit gespitzten Ohren im Auditorium und genießt Satz um Satz, Gedicht um Gedicht und überlegt, wie das zusammenpasst, das frivole Treiben und die freundliche Anständigkeit des Herrn Maintz. Mehr aber noch fragt man sich, wie man diese Worte nach Hause tragen soll, um auch an den anderen Tagen, wenn der Herr Maintz in seinem langweiligen Stadtteil sitzt und nicht auf der Bühne, seine Freude daran haben zu können.
Der Kunstmann-Verlag hat jetzt Mitleid mit Leuten wie mir bewiesen und 48 Gedichte als Buch herausgegeben. 48 wunderbare Lebensminiaturen, die einen vor Freude strahlen lassen, ob der Meisterhaftigkeit, mit der hier mit Wörtern gearbeitet wird. Aber auch mit einem Humor, der erst geteilt seine fulminante Wirkung entfaltet: Wir sitzen zu Hause, lesen uns die Zeilen vor und biegen uns vor Lachen. Krümmen uns angesichts der Bannung schwerer Dichterschicksale und tierischen Versagens in vollendete Verskunst.
Das zu erreichen, ist nicht nur für einen Dichter eine seltene Leistung. Es ist vor allem deutlich mehr, als Anständige üblicherweise zuwege bringen.
Christian Maintz: „Liebe in Lokalen“. Kunstmann Verlag, München 2016, 144 S., 14,95 Euro
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