: Schanghai, Werder, Luckenwalde
Rettung Zwei Brandenburger Manufakturbetriebe mit langer Geschichte überleben dank Investoren aus China. Dort schätzt man Flügel und Orgeln aus Deutschland
von Barbara Geier
Leicht haben es die Instrumentenbauer heute nicht mehr. Nur wenige Hersteller noch würden erfolgreich der Konkurrenz aus China trotzen, wusste vor Jahren schon die Welt zu berichten. Das gilt vor allem für die Manufakturen unter ihnen. Teure Handarbeit versus billige Massenproduktion: Das Ergebnis war vorhersehbar.
Für Markus Ernicke sieht das ganz anders aus. Der Geschäftsführer der Niendorf Flügel- und Klavierfabrik im südbrandenburgischen Luckenwalde denkt ausgesprochen gerne an China. Das 130 Jahre alte Traditionsunternehmen, zu DDR-Zeiten der größte Flügelbauer des Landes, wäre längst vom Markt verschwunden, hätte nicht 2014 ein Investor aus China den Betrieb übernommen. Dem Hobby-Pianisten und Klavierproduzenten Mingtong Zheng aus Schanghai war Niendorf durchaus ein Begriff, und als der Markenname 2014 zum Verkauf stand, griff der Chinese kurzerhand zu. Es ist die dritte Rettung des Unternehmens seit der deutschen Wiedervereinigung.
Schwierige Wendezeit
Der ehedem volkseigene Betrieb hatte die Auflösung der DDR nur kurz überstanden. „Nach der Wende haben wir gemerkt, dass wir die Flügel verkaufen müssen und nicht verteilen“, erinnert sich Regina Rotsch, die seit 1977 kaufmännische Leiterin des Werks war und nicht tatenlos zusehen wollte, wie der Traditionsbetrieb in die Pleite rutschte.
Die Leipziger Pianofortefabrik hatte den Luckenwalder Klavierbauer direkt nach der Wende von der Treuhand übernommen, aber nicht halten können. Von den ehemals 350 Mitarbeitern hatte Regina Rotsch 1996 schließlich nach zähen Verhandlungen mit der Treuhand nur 10 weiterbeschäftigen können. Mit dem Kauf hatte sie nicht nur das Werk erworben, sondern sich auch den altehrwürdigen Markennamen gesichert, unter dem Niendorf 1886 von den Brüdern Hermann und Karl Niendorf gegründet worden war.
Und hier begann der junge Markus Ernicke 1999 seine Karriere, zunächst als Klavierbau-Azubi. Die Lehre konnte er noch abschließen, doch übernommen wurde er anschließend nicht. Denn schon wieder ruhte die Produktion. Zehn Jahre lang lag Niendorf im Dornröschenschlaf, bis 2014 der Traditionsbetrieb von einem Prinzen aus China erneut wachgeküsst wurde. Mingtong Zhen kauft den Namen Niendorf, dazu ein Gelände am Stadtrand von Luckenwalde mit geeigneten Werkshallen und sorgt dafür, dass ab Mai 2015 wieder Flügel und Klaviere gebaut werden. Es ist das „Made in Germany“, auf das er und viele chinesische Kunden so großen Wert legen, vor allem der Stempel „deutsche Handarbeit“. 13 Mitarbeiter legen mittlerweile wieder Hand an, an der Spitze der neue Geschäftsführer und ehemalige Azubi Ernicke.
300 Flügel und Klaviere sollen jährlich die Manufaktur verlassen. In ein Klavier investieren die bald 20 Mitarbeiter, darunter zwei Klavierbau-Meister aus Leipzig und Polen, rund 140 Stunden Arbeit, in einen Flügel noch einmal 100 Stunden mehr. Auf einer der größten Musikinstrumentenmessen der Welt, der „Music China“ in Schanghai, hat sich Niendorf im Oktober 2015 schon präsentiert, und für die Frankfurter internationale Musikmesse im April dieses Jahres laufen seit Wochen die Vorbereitungen.
Ohne Hilfe aus China hätten vermutlich auch die weltberühmten Schuke-Orgeln vor wenigen Wochen noch aus dem letzten Loch gepfiffen. Das fast 200 Jahre alte Traditionsunternehmen aus Brandenburg, das die DDR-Zeit ebenfalls als volkseigener Betrieb erlebte, drohte am Ukraine-Konflikt und an der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland zu scheitern.
Das einst in Potsdam und heute in Werder/Havel ansässige Unternehmen Schuke-Orgelbau hatte für die Philharmonie im ostukrainischen Charkiw ein Instrument im Wert von etwa 1,2 Millionen Euro gebaut – und geliefert. Über eine Anzahlung ist der Auftraggeber allerdings nicht hinausgekommen. Nicht nur dies hat eine tiefe Lücke in die Firmenfinanzen gerissen. Hinzu kommt, dass eine Orgel versandfertig im Lager steht, die für die Konzerthalle eines Hotelkomplexes im russischen Scholkowo gefertigt wurde. Der Eigentümer, ein Oligarch, hatte offenbar mit Krediten gerechnet, die wegen der westlichen Sanktionen nicht mehr abgerufen werden konnten. Das Instrument konnte nicht mehr bezahlt werden.
Im November 2014 musste der Orgelbauer schließlich Insolvenz anmelden. Firmenchef und Orgelbaumeister Matthias Schuke, 61, in der dritten Generation Eigentümer des 1990 reprivatisierten Unternehmens, zog gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter alle Register, um die Firma zu retten. Ihr Hilferuf erreichte den 47-jährigen Geschäftsmann Zou Wenji in Schanghai. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit, Michael Schuke nennt es Partnerschaft, beschlossen. Nicht als Finanzpartner gehe der vermögende Zou Wenji an Bord, sondern als Vermittler zwischen neuen Auftraggebern und dem Brandenburger Werk. Erste Aufträge im Wert von bis zu einer Million Euro seien bereits unter Dach und Fach.
Auch hier hat „Made in Germany“ geholfen, die Chinesen ins Boot zu holen. Abnehmer ist zunächst die Universität Schanghai. Hier studieren seit Oktober die ersten zehn Studenten das Orgelspiel auf einem Schuke-Instrument. Der Brandenburger Firmenchef selbst will vor Ort Seminare geben. Das Insolvenzverfahren wird bald kein Thema mehr sein.
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