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Im Fitnesstempel der Liebe

Waverock Die Sisters of Mercy füllen mehr als 25 Jahre nach ihrer letzten Platte immer noch die Columbiahalle

Alt werden macht kein Spaß, auch für Gruftis nicht. Einen Blick in ein lange vernachlässigtes Paralleluniversum zu werfen, nur um nachzusehen, was da so geht, ist aber auch nicht immer eine gute Idee.

Die Sisters of Mercy gastierten bereits am Donnerstag in der ausverkauften Columbiahalle. Die "Sisters", wie sie von den Fans liebevoll genannt werden, sind eine Darkwave-Gothicrock-Band, sie machen also düster klingende Rockmusik, Musik von der dunklen Seite, auch wenn sie nicht wirklich deprimierend klingt. Ihre Glanzzeit hatten die Sisters in den achtziger Jahren; Anfang der Neunziger feierten sie ihre größten Erfolge in den gehassliebten Charts. Folgerichtig ging das Konzert auch mit einem dieser Hits los: "More".

Seit der hardrockorientierten CD "Vision Thing" von 1990 ist außer ein paar Neuversionen alter Stücke (darunter "Temple of Love" mit der im Jahr 2000 verstorbenen Ofra Haza) allerdings nichts mehr gekommen. Alle paar Jahre lässt sich Sänger Andrew Eldritch dazu herab, den Ruhm früherer Tage vor den mitalternden Fans zu verwalten.

So war das auch am Donnerstag: Der Kostümzwang der Gruftiszene hat sich wie Eldritch selbst über die Jahre merklich gelockert; alle schauen nicht mehr ganz so streng und verbiestert aus der monoschwarzen Wäsche; zur modernen Technik sagt man inzwischen genauso Hallo wie zum eigenen Nachwuchs als Hintergrundbild fürs Smartphone. Eldritch hat Haare verloren und Wampe gewonnen, irrlichterte dafür erstaunlich beweglich im schwarzen Trainingsanzug (darunter aber, Frevel!, ein neongelbes T-Shirt) über die Bühne. Ja, wir sind alle älter geworden, mit Ausnahme des Gitarristen Ben Christo, der aussieht wie aus einem Pornofilm gecastet oder als ob er als Sohnemann irgendwann den Laden - wie einen Fitnesstempel - vom Papi übernimmt.

Die Hits (persönlicher Favorit: "Lucretia My Reflection") waren immer noch die Hits, alles andere klang eben wie schwarz lackierter Achtzigerkram: Der Drumcomputer, der damals vielleicht eigen war, klingt mittlerweile nur noch unfassbar billig und spielte meist im Uffta-Uffta-Beat; Christo spielte dazu eine schlimme Schweinerockgitarre, und zwar so perfekt, dass man nicht wusste, ob das jetzt live war oder aus der Dose. Alles klang wie eine Karaokemaschine aus der Schrotthölle; mit Ausnahme von Andrew Eldritchs abgrundtiefer Stimme. Die klang überraschend echt. René Hamann

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