: „Die Dunkelziffer ist hoch“
Missbrauch Um sexuelle Gewalt zu vermeiden, versuchen Sportvereine „Kultur der Aufmerksamkeit“ zu etablieren. Trainer sollen Führungszeugnis zeigen
Im Februar wurde ein ehemaliger Fußballtrainer des TuS Holstein Quickborn wegen sexuellen Missbrauchs an drei Jungen aus seiner Mannschaft verurteilt. Kritik wurde danach auch am Verein laut, der Hinweisen nicht genügend nachgegangen sein soll. „Sexueller Missbrauch im Sport ist im Großraum Hamburg ein Problem, das wissen wir aus der Opferberatung“, sagt Vera Falck, Geschäftsführerin des Hamburger Vereins Dunkelziffer, der sich gegen sexuellen Missbrauch einsetzt.
Verlässliche Angaben darüber, wie oft es in Sportvereinen zu Übergriffen komme, gebe es nicht. Die Dunkelziffer sei hoch. Seit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule im Jahr 2010 reagierten jedoch viele Sportvereine sensibilisierter, sagt Falck.
Der Landessportverband Schleswig-Holstein und die Sportjugend setzen auf Prävention. Zusammen mit dem Kinderschutzbund haben sie das Projekt „Aktiv im Kinderschutz“ gestartet. In Fortbildungen sollen Trainer und Trainerinnen lernen, sexuellen Missbrauch zu erkennen und dann richtig zu reagieren. „Körperkontakt, Vertrauen und emotionale Nähe zeichnen fast jede Sportart aus. Da gibt es Grenzsituationen, die nicht immer leicht zu deuten sind“, sagt Carsten Bauer, Geschäftsführer der Sportjugend. Wichtig sei es, offen zu diskutieren und eine „Kultur der Aufmerksamkeit“ in den Vereinen zu schaffen.
Angehende Trainer sollten zudem ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und einen Ehrenkodex unterzeichnen, indem sie sich auf den Kinderschutz verpflichten. Bauer räumt jedoch ein: „Eine solche Maßnahme allein nützt wenig, die Vereine müssen das Thema großflächig angehen.“
Elena Lamby, Referentin der Deutschen Sportjugend für die Prävention sexualisierter Gewalt, rät zu Transparenz. „Es muss offene Türen beim Training geben, wenn möglich, sollte ein zweiter Trainer anwesend sein“, sagt sie. Außerdem sollten Vereine die Stelle eines Kinderschutzbeauftragten einrichten. Kinder und Jugendliche, die ihre Rechte kennen, könnten Grenzüberschreitungen besser erkennen. „Kinder müssen durch Mitbestimmung gestärkt werden, indem wir sie in die Vereinsarbeit einbinden und Angebote zur Selbstverteidigung anbieten“, sagt Lamby.
Beim Projekt „Aktiv im Kinderschutz“ werden Kinder durch ein Ampelsystem einbezogen: Gemeinsam mit Erwachsenen eines Vereins stellen sie Regeln auf und bewerten Verhaltensweisen als rot, gelb oder grün, von „ist ok“ bis zu regelverletzend. Wie sich Sportvereine im Fall eines konkreten Verdachts verhalten sollten, hänge vom Einzelfall ab.
„Wenn Kinder und Jugendliche gefährdet sind, ist eine sofortige Suspendierung des Beschuldigten angebracht“, sagt Lamby. „Der erste Schritt muss aber sein, mit dem Kinderschutzbeauftragten zu sprechen und Kontakt zu Beratungsstellen aufzunehmen.“
Carsten Bauer mahnt vor impulsiven Reaktionen. Nicht immer sei es richtig, sofort die Eltern zu informieren. Jeder Fall müsse genau geprüft werden, um Mitarbeiter vor falschen Beschuldigungen zu schützen. „Für Vereine könnte das schnell in einer Verleumdungsklage enden“, sagt er. Annika Lasarzik
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