Der Kick im Kino

Fußballfilme Beim 11mm-Festival können die Fußballfans den Cineasten in sich entdecken. Und umgekehrt. Nächste Woche startet das Festival in seine 13. Runde – mit prominenten Gästen auch rund ums Wembley-Tor

Tja nun, möglicherweise: Tor! Wembley 1966. Mit dem Film „Goal!“ ein Thema beim 11mm-Festival Foto: Foto Barratts/Empics/picture-alliance

von Michael Sontheimer

Es gibt definierende Momente im Leben. Auch im Leben von Fußballfans. Ein Moment, den deutsche Fußballfreunde, zumindest die älteren unter ihnen, nicht vergessen können, ereignete sich am 30. Juli 1966 im Londoner Wembley-Stadion.

Deutschland (West) und England spielen um die Fußballweltmeisterschaft. In der Verlängerung, Minute 101. Es steht 2:2. Der englische Stürmer Geoff Hurst nimmt den Ball im deutschen Strafraum an, dreht sich und schießt aus ungefähr sieben Metern auf das deutsche Tor. Er trifft die Unterkante der Latte. Der deutsche Torwart Hans Tilkowski wirft sich spektakulär, aber kommt nicht mehr an den Ball. Das Leder prallt senkrecht nach unten ab.

Wo landet der Ball? Auf der Linie? Hinter der Linie? Der russische Linienrichter sagt, hinter der Linie. Das heißt: Tor. Der Schiedsrichter sagt schließlich: Tor. Das Finale der Weltmeisterschaft 1966 in England ist entschieden: Durch das „Wembley-Tor“, wie es fortan genannt wird. Und das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit keines war.

Um das Wembley-Tor und die Weltmeisterschaft 1966 wird es in einem großen britischen Dokumentarfilm mit dem Titel „Goal!“ gehen, der am Donnerstag im Kino Babylon zu sehen ist. Am Rosa-Luxemburg-Platz wird dann wieder der grüne Teppich aus Kunstrasen ausgerollt und das 11mm-Fußballfilmfestival eröffnet.

Von den Spielern der deutschen Nationalmannschaft, die vor 50 Jahren in London so unglücklich verlor, haben sich zwei Vertreter angesagt: Horst-Dieter Höttges, „Eisenfuß“ genannter Verteidiger, und der Stürmer Siegfried („Siggi“) Held.

Zum dreizehnten Mal heißt es jetzt in Berlin fünf Tage lang Elf Millimeter. Gefördert wird das alljährliche Festival von der DFB-Kulturstiftung und verschiedenen Sponsoren. Rund um das Jahr sind zehn Aktivisten tätig, während des Spektakels selbst sind es dann rund 30 ehrenamtliche Enthusiasten. Über 70 Filme werden dieses mal zu sehen sein, Dokumentationen, Spielfilme, kurze Filme, lange Filme, aus 24 Ländern, 4 Weltpremieren, 27 Deutschlandpremieren.

Sommermärchen im Blick

Zwei Schwerpunktländer sind im diesjährigen Festivalprogramm gewürdigt, Großbritannien und Frankreich. Großbritannien ist nicht nur das Mutterland des modernen Fußballs, die Briten haben bisher auch die wohl besten Fußball-Filme gedreht. Folgerichtig gibt es neben dem Film über die WM 1966 noch fünf weitere britische Dokumentationen, zum Beispiel eine über den Aufstieg und Fall des genialischen englischen Stürmers Paul Gascoigne.

In diesem Jahr geht das Fußballfilmfestival 11mm in seine 13. Runde. Anstoß ist am Donnerstag um 19.30 Uhr ganz im Zeichen des Wembley-Tors mit der britischen Dokumentation „Goal!“ (1966).

Gespielt wird bis 21. März an drei Spielorten: Babylon Mitte, Filmtheater am Friedrichshain und City Kino Wedding. Programm: www.11-mm.de

Zweiter und offizieller Schwerpunkt des Festivals ist Frankreich, schließlich tragen unsere Nachbarn im Westen im Juni die Europameisterschaft aus. Gefördert vom deutsch-französischen Jugendwerke sind Klassiker wie „Le jeux dans les bleus“ von Stéphane Meunier zu sehen, der rund um die Weltmeistermannschaft 1998 in Frankreich das französische Team begleitete und ein Subgenre schuf, in dem sich dann 2006 auch Sönke Wortmann mit „Deutschland, ein Sommermärchen“ erfolgreich versuchte.

In der französischen Reihe ist auch eine Dokumentation zu sehen, in der der Ur-68er Daniel Cohn-Bendit während der Weltmeisterschaft 2014 durch das Gastgeberland Brasilien reist, auf der Suche nach dem legendären brasilianischen Spieler Sócrates.

Ein anderer Brasilianer, der Bundesligaspieler Naldo aus Wolfsburg, ist mittlerweile ein Freund und Stammgast des 11mm-Festivals. In diesem Jahr kommt er als Schirmherr der Kinder und Jugendreihe.

Insgesamt werden deutlich mehr Dokumentar- als Spielfilme gezeigt. Unter Letzteren sticht ein dänischer Film mit dem schlichten Titel „Sommeren 92“ hervor, der eine schier unglaubliche Fußballgeschichte erzählt: Dänemark war in der Qualifikation zur Europameisterschaft 1992 in Schweden ausgeschieden. Doch zehn Tage vor Beginn des Turniers wurde aufgrund des Bürgerkrieges Jugoslawien ausgeschlossen und die Dänen rückten nach.

Die Spieler waren schon in Urlaub und hatten keinerlei Vorbereitung. Sie verloren gegen den Gastgeber Schweden, aber sie spielten ohne Druck und wurden schließlich Europameister. Sie gewannen das Endspiel gegen den Weltmeister Deutschland. Diesen völlig unerwarteten Triumph, besonders für den Trainer, der schon abgeschrieben war, hat Kasper Barfoed als Komödie inszeniert.

Fußball und Film sind ein ungleiche Partner. Nur der Hartnäckigkeit der Initiatoren ist es zu verdanken, dass sich mit 11mm ein thematisches Filmfestival etabliert hat, bei dem der Fußball im Mittelpunkt steht.

Hans Tilkowski wirft sich spektakulär, aber kommt nicht mehr an den Ball. Das Leder prallt nach unten ab

Fußball für Filmfans

Gewöhnlich und besonders historisch haben Cineasten und Fußballfans wenig gemeinsam, die Schnittmenge zwischen beiden Gruppen ist sehr gering. Als Fußballspiele noch proletarische, unintellektuelle Veranstaltungen waren und Filmfestivals von Bohemiens und Bürgern frequentiert wurden, ließ sich die Kombination aus Kicken und Kino kaum vorstellen – doch dies hat sich offensichtlich geändert.

Als Birger Schmidt, Andreas Leimbach-Niaz und andere 2004 zum ersten mal unter dem Rubrum 11mm, damals mit Unterstützung des British Council, elf Fußballfilme zeigten, lockte einer der Filme nicht mal eine vollzählige Mannschaft an, es erschienen nur sechs Zuschauer. Inzwischen kommen zum gesamten Festival an die 5.000.

Das Fußballfilmfestival 11mm hat zudem Fußballfilm-Freunde in aller Welt dazu inspiriert, solche Festivals auf die Beine zu stellen. In Europa gibt es sie mittlerweile in Amsterdam, Barcelona, Basel, Brüssel, Paris und Rom; außerdem, nicht zu vergessen, in Brasilien, Japan und Australien.