: Gemalte Kurzgeschichten
LICHTERATUR Der experimentelle Kurzfilmer Jochen Kuhn ist für einen Abend in Hamburg zu Gast
Mit „Zeichentrickfilmen“ haben die Arbeiten von Jochen Kuhn nicht viel gemein. Es sind eher Gemälde, in denen sich etwas verändert, die verwischt werden, collagiert und übermalt. Surreal wirken diese „Gemälde“; und auch die Geschichten, die darin erzählt werden, scheinen eher einer Traumlogik zu folgen als einer plausiblen, klar zu deutenden Handlung.
Kuhn spricht dazu Texte in einem betont monotonen Tonfall und bei den wenigen und knappen Dialogen übernimmt er sowohl den Part des Ich-Erzählers als auch den Gesprächspartner. Überhaupt: Er ist erklärtermaßen für „Buch, Malerei, Kamera, Musik, Produktion“ verantwortlich, außerden zumeist als „Sprecher“ – reineren Autorenfilm wird man kaum finden.
1981 gewann der gebürtige Wiesbadener für „Der lautlose Makubra“ den Bundesfilmpreis, und diese frühe Arbeit eröffnet das insgesamt siebenteilige Programm „Lichteratur – Malerei und Film“, mit dem das Hamburger 3001-Kino den Filmemacher am Dienstag würdigt. In Hamburg hat Kuhn studiert, an der Kunsthochschule, und nun besucht er alle paar Jahre mit solch einem Programm die Stadt. Seit inzwischen 30 Jahren führt sein Freund Werner Grassmann, selbst Regisseur, Produzent und Gründer des Hamburger Abaton-Kinos, durch diese Abende.
Kuhns Filme sind melancholisch und haben subtilen Humor. Sein Publikum lädt er dazu ein, in ihnen zu flanieren, was auch die Titel seiner beiden Filmzyklen andeuten: Von 1998 bis 2004 hat Kuhn fünf Filme mit dem Titel „Neulich“ gedreht, die er selbst als „Film-Notizen zu Begebenheiten des täglichen Umgangs“ bezeichnete. In „Neulich 3“ wird der Erzähler etwa Zeuge einer modernen Liebesgeschichte. In „Neulich 2“, der diesmal nicht auf dem Programm steht, kann der Erzähler bei einem Arztbesuch im Inneren seines Körpers wie bei einer Ultraschalluntersuchung Fragmente seiner eigenen Erinnerung ansehen.
Den zweiten Zyklus produzierte Kuhn zwischen 2005 und 2013 als eine „Reihe von Sonntagsausflügen“ unter dem Titel „Sonntag (0–3)“, und der dritte Film dieser Reihe ist sein bisher erfolgreichster: Kuhn bekam den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold, dazu Auszeichnungen in Zagreb, Bilbao und Tampere.
Das liegt möglicherweise an einem erzählerischen Dreh: In „Sonntag 3“ hat der Erzähler ein Blind Date mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch die nämlich möchte einfach mal nur mit jemandem reden, sucht Nähe und – „ein Single an der Macht, das geht doch nicht!“; Merkels realer Ehemann Joachim Sauer fällt hier mal eben der künstlerischen Freiheit zum Opfer. Diese aberwitzige Grundidee nuanciert Kuhn und setzt sie um mit verblüffendem Tiefgang. Merkel wird aber weder in Bild noch Dialog zur Karikatur. HIP
Di, 15. 3., 19 Uhr, 3001, Hamburg
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