: Schluss mit der Ohnmacht
MUSEUM Die Ausstellung „Macht und Ohnmacht“ widmet sich in Hannover der Darstellung von Macht vom Alten Agypten bis in die Gegenwart. Für das Museum August Kestner ist sie ein Befreiungsschlag
von Jens Fischer
Ausgeliefert sein an den Status quo – angesichts mangelnder Investitionsmillionen und des übersichtlichen Personals? Nein, Schluss mit Ohnmacht! „Ein neues Kapitel der Museumsgeschichte“, kündigt Thomas Schwark, Chef des Historischen und Kestner Museums in Hannover, an. 2014 waren die um die Kunstsammlung der Mittelmeerkulturen des einstigen Botschafters Hannovers im Vatikan, August Kestner, gebaute Archivierungs-, Ausstellungs- und Forschungsinstitution und das Historische Museum aus Kostengründen verwaltungstechnisch fusioniert worden. Da ist die aktuelle Schau „Macht und Ohnmacht“ tatsächlich ein Befreiungsschlag. Zwar nicht mit letzter Konsequenz ausgeführt – und mit etwas mehr Geld hätte man weltweit auch für jedes Ausstellungsstück ein kunstgeschichtlich bedeutenderes finden und ausleihen können. Aber immerhin! Es geht los.
Verstaubter Charme
Für die dringend notwendige Modernisierung wurden das Treppenhaus und zwei Säle der ersten Etage leergeräumt. Dafür entschuldigte sich Kurator Andreas Urban während der vor Publikum überquellenden Vernissage gleich bei den Fans des musealen Museums. Es soll welche geben, die es lieber im verstaubten Charme einer mit Antiquitäten vollgestopften Villa sterben, als mit zeitgemäßem Relaunch reanimiert sehen.
Aber wer durch die Dauerausstellung bummelt, sieht immer noch spärlich erläuterte und schummrig diskret beleuchtete Artefakte in schäbigen Vitrinen: griechische Vasen, etruskische Kleinkunst, römische Münzen, mit Pharaonenbildern gezierte Steine. Ein stetiger Zuschauerschwund konnte erst 2015 sanft gestoppt werden: Aber auch gut 33.000 Besucher sind kein Triumph wachsender Zuneigung.
Schon die äußere Würfel-Anmutung des Kulturgeschichtstempels muss neben dem protzig baustilmixenden Rathaus um Akzeptanz kämpfen. Der im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstörte Neorenaissancebau wurde mit Betonwabensteinen umbaut: eine inzwischen verblichene Rasterfassade entstand – wie sie einst Horten-Kaufhäuser nutzten, um ihre fensterlosen Fronten zu verstecken. Nicht so schön. Aber es kommt ja auf den Inhalt an.
Für die aktuelle Schau begaben sich die Kestnerianer auf Spurensuche in allen Sammlungsbereichen des Museums, durchforsteten die Depots nach Zeugnissen für die Zivilisationsgeschichte der Macht – und ergänzten ihre Fundstücke um Leihgaben befreundeter Hannoveraner Museen. Keine neue Idee, aber eine, die der eigenen Profilierung dient und den lokalen Teamgeist fördert.
Schließlich kam ein wenig Farbe an die Wände, ein paar Lux mehr Licht wurden spendiert, kubische Schaukästen aufgestellt und mit Kunst, pointierten Zitaten und sachlich anregenden Erklärungen bespielt. Sogar zwei Bildschirme flimmern und lassen zudem Aussagen einflussreicher Hannoveraner zu ihrem Umgang mit der Macht erklingen. Ein Eckchen ist der Interaktivität gewidmet: Königskostüme hängen dort, damit sich jeder republikanische Besucher mal eben als Chef der Royalisten verkleiden und auf einem Sitzmöbel inthronisieren kann.
Macht als Wohlfühlfaktor
Womit er mitten im Thema ist: Machterhalt durch Zurschaustellung – von Reichtum vor allem. Marmorbüsten sind zu sehen, die majestätisch wirken wollen, in schleimigen Ölfarben prachtvoll ausstaffierte Porträt- und Familienbilder der Aristokratie und ihrer bürgerlichen Nacheiferer. Gezeigt werden edle Möbel, verschnörkelte Trinkgefäße, Schmuck, Orden und Kopfbedeckungen wie Krone, Pickelhaube, Mitra.
Aber auch Gemälde, die Feste festlich darstellen. Daneben steht eine Anmerkung von Pierre Bourdieu, der den Ausdruck von Macht als Befreiung vom Ökonomischen definierte: Die Macht „bringt sich daher in der Zerstörung von Reichtum, im Akt der Verschwendung und Vergeudung in allen Ausprägungen des zweckfreien Luxus zur Geltung“ und beinhalte „den Anspruch auf die Überlegenheit denen gegenüber, die … von den Interessen und Nöten des Alltags beherrscht bleiben.“ Macht macht’s Leben einfacher.
Selten besser. Was den Mächtigen meist wenig macht. Machthaben ist Wohlfühlfaktor. Dort knüpft der sehr gelungene Übergang zur Designdauerausstellung an. Alltagsgegenstände werden präsentiert, die von der Macht des guten Geschmacks erzählen – und wie es sich verändert, was eine Machtelite gerade für schön hält. Reizvoll ist, in diesem Kontext Gerhard Schröder zu sehen: Herlinde Koelbl porträtierte den Machtpolitiker von 1991 bis 1998 auf dem Weg vom Ministerpräsidenten zum Bundeskanzler – vor stets weißem Hintergrund, um Spuren der Macht zu verdeutlichen: „Die Verwandlung des Menschen durch das Amt“, nennt Koelbl das.
Kaleidoskop der Macht
Mit solchen Kreuz- und Querverweisen wird das Ausstellungsthema von immer neuen Seiten her aufgerissen. „Kaleidoskop der Macht“ ist das Konzept betitelt. „Markenmacht“ steht beispielsweise an einem Schaufenster – dahinter ist das Produkt eines global mit Apfel-Signet werbenden Konzerns platziert. Über Macht der Bürokratie kann angesichts eines Stempelhalters loszuassoziiert werden. Auch vorm Grundsätzlichen wird nicht ausgewichen – und gefragt: Was ist Macht? Omnipräsent zwischen Subjekt und Objekt, vielgestaltig in ihren Erscheinungen, kann sie sich vergegenständlichen, ohne je selbst Gegenstand zu sein. Sie bleibt flüchtig, unbeherrschbar – und prägt doch unsere 6.000-jährige Kulturgeschichte.
Erstaunlich: Fast jeder verabscheut Macht – aber nur die der anderen, die etwas Übermächtigendes, Unterdrückendes hat. Die eigene wird gern ausgeübt – im Sinne von Max Webers Definition, dass Macht eben ermögliche, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen.
Hannah Arendt wiederum versuchte, Macht nicht von der Gewalt her zu denken, sondern als Notwendigkeit, den Kampf aller gegen alle mit vertrauensvollem Delegieren von Entscheidungen zu begegnen: „Wenn wir von jemand sagen, er ,habe die Macht’, heißt das in Wirklichkeit, dass er von einer bestimmten Anzahl der Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln.“ Das ermögliche gesellschaftlichen Fortschritt.
Das Museum legt überreichlich Startpunkte zum Räsonnieren aus. Es gilt, Aspekte der Macht bewusst zu machen, um – bestenfalls – einen reflektierten Umgang mit ihr zu ermöglichen. Das sei das Optimum, mein Andreas Urban. Die Macht abschaffen, Anarchie, das wiederum sei unmöglich. Wie der Drang zur Fortpflanzung gehöre sie zum Leben.
„Macht und Ohnmacht“: bis 31. Juli, Museum August Kestner, Hannover
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