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Archiv-Artikel

Freudentänze am Grab al-Hariris in Beirut

Nach der Veröffentlichung des Mehlis-Berichts über die Ermordung des ehemaligen Regierungschefs gerät der libanesische Präsident unter Druck. Die syrische Regierung versucht mit einer Doppelstrategie, drohende Sanktionen der UNO abzuwenden

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Die Anhänger des ermordeten ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri waren die Ersten, die reagierten. Am Platz der Märtyrer im Zentrum Beiruts herrschte nach der Veröffentlichung des UN-Untersuchungsberichts unter der Leitung des Berliner Staatsanwalts Detlev Mehlis eine ausgelassene Atmosphäre. Mehrere tausend Demonstranten kamen am Freitagabend am Grab al-Hariris zusammen. Sie tanzten und sangen, während sie libanesische Zedernfahnen schwangen und kleine Pappschilder mit der Aufschrift „Adala“ – „Gerechtigkeit“ im Takt der Musik schwenkten.

Reina Sarkis hält ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „I love Mehlis“ hoch. „Das Klima, in dem arabische Regime mit allem, was sie machen, straffrei davonkommen, ist gebrochen“, schwärmt die Psychologin. Natürlich könne man in der Region noch nicht von Gerechtigkeit reden, aber ein Anfang sei gemacht. Und das syrische Regime? Die 37-Jährige zeigt ihren Mittelfinger. Um sie herum rufen die Demonstranten: „Jetzt, meine Brüder, kommt die Wahrheit“, in Anspielung auf die einst offizielle Terminologie vom syrischen Bruderstaat.

Doch trotz der Freudentänze bleibt das Klima gespannt. Viele Beiruter fürchten Racheaktionen des syrischen Geheimdienstes. Schließlich sind seit dem Hariri-Mord zwölf weitere Bomben in der Stadt hochgegangen. Überall patrouilliert die Armee. Keine Feierstimmung herrscht in der Bekaa-Ebene, ein gute Autostunde von Beirut entfernt. Das Gebiet im Osten des Landes ist eng an den syrischen Nachbarn gebunden, vor allem wirtschaftlich. Dort besitzt die prosyrische Hisbollah starken Rückhalt. Im libanesischen Grenzort Anjar herrscht eine gedrückte Stimmung. „Früher sind hier tausende von Fahrzeugen durchgekommen. Schau dir an, was jetzt los ist“, sagt der libanesische Zöllner und deutet auf den Grenzübergang, wo nur alle paar Minuten ein Fahrzeug durchkommt. An der Hauptverkehrsader zwischen beiden Ländern geht es gemächlich zu.

Im Grenzort selbst haben bereits einige Läden geschlossen, die früher davon lebten, dass vor allem am Wochenende die Syrer kamen, um Luxusgüter zu kaufen, die im eigenen Land teuer und nur schwer erhältlich sind. Der Niedergang hat bereits im Februar nach dem Tod al-Hariris eingesetzt, erzählt ein örtlicher Geldwechsler. Der größter Kunde des Ortes war die syrische Armee, die in den Ortschaften der Bekaa eingekauft und die Güter in Damaskus weiterverkauft hat. Seit dem Abzug der syrischen Soldaten im April ist dieser Großkunde verloren gegangen.

Die libanesische Regierung versucht offenbar, einen Konsens zu finden, wie sie auf den Mehlis-Bericht reagieren soll. „Der Bericht hat die Hoffnungen der Libanesen erfüllt. Er stellt die Grundlage für die Wahrheitsfindung dar, durch die die Verantwortlichen am Ende bestraft werden“, lautete die Bewertung von Informationsminister Ghasi Aridi. Auf die Frage, ob die libanesische Regierung mit einen internationalen Tribunal einverstanden sei, antwortete er ausweichend, dass es für eine solche Entscheidung noch zu früh sei, da die UN-Untersuchung nicht abgeschlossen sei.

Dagegen forderte der Sohn Rafik al-Hariris, Saad, in einer Fernsehansprache eindeutig, dass sich die Mörder seines Vater vor einem internationalen Gericht verantworten sollen. „Wir wollen keine Rache, sondern nur Gerechtigkeit“, erklärte er. Saad hatte zwar mit seiner Koalition die Wahlen im Mai gewonnen, seine Fernsehansprache hält er aber aus dem sicheren Saudi-Arabien.

Unter Druck steht nicht nur die syrische Regierung, sondern auch der libanesische Präsident Emile Lahoud. Er soll laut Mehlis-Bericht von einem der Verschwörer kurz vor dem Anschlag einen Anruf auf seinem Handy erhalten haben. Das streitet er vehement ab. Durch seinen Sprecher ließ Lahoud verkünden, er gedenke seine Amtszeit, die September 2004 noch unter starker syrischer Mitwirkung um drei Jahre verlängert worden war, bis zum Ende fortzuführen.

Doch eine Festnahme in Beirut könnte für ihn peinlich werden. In Haft genommen wurde Mahmud Abdel-Al, angeblich Mitglied einer radikalen Islamistengruppe. Laut Mehlis-Bericht soll er es gewesen sein, der vor dem Anschlag mit Lahoud telefonierte. Zuvor soll Al mit den vier prosyrischen ehemaligen libanesischen Sicherheitschefs Kontakt gehabt haben, die bereits im Zusammenhang mit dem Hariri-Mord im Gefängnis sitzen.

Die unter Anklage stehende Regierung in Damaskus probiert es derzeit mit einer Doppelstrategie. Sie streitet jegliche Verwicklungen in den Mord ab und bezeichnet den Mehlis-Bericht als politisches Werk. Doch gleichzeitig deutet sie mehr Kooperationsbereitschaft und Zugeständnisse an. In dieser für das Regime Baschar al-Assads entscheidenden Woche, glauben Beobachter, wird die Regierung versuchen, Gesten anzubieten, um Sanktionen des Sicherheitsrats abzuwenden, ohne ihr eigenes Überleben zu gefährden. Riyad Dawudi, ein Berater des syrischen Außenministeriums, wurde vorgeschickt, um auf einer Pressekonferenz ein erstes Signal abzugeben. „Wir werden kooperieren, aber wir werden diese Zusammenarbeit noch nicht genau definieren“, lautete seine erste sibyllinische Erklärung. Eine mögliche Auslieferung hoher syrischer Sicherheitsbeamter schloss er nicht aus: „Wenn es Forderungen von der UN-Kommission gibt, werden wir sie studieren und mit ihr diskutieren, und dann könnten wir auch zustimmen.“