Schweden baut Atomkraft aus

Die Regierung in Stockholm genehmigt eine Leistungssteigerung für Atommeiler. Ein AKW geht vom Netz, dennoch wird mehr Atomstrom als bisher produziert

STOCKHOLM taz ■ Der 31. Mai war ein Freudentag für Schwedens Antiatombewegung. Da war mit Barsebäck eines der vier Atomkraftwerke des Landes endgültig stillgelegt worden. Die erste Etappe aus dem Atomausstieg konnte abgehakt werden. Jetzt fühlen sich die Atomkraftgegner von Stockholm gründlich hinters Licht geführt. Denn der weggefallene Barsebäck-Strom wird durch neuem Atomstrom ersetzt. Ende der vergangenen Woche gab die Regierung grünes Licht für einen Antrag der Reaktorbetreiber Vattenfall und Eon, die die Leistung des westschwedischen AKW Ringhals erhöhen wollen. Die Reaktoren an der Ostseeküste, in Oskarshamn und Forsmark, sollen folgen.

In Ringhals sollen nun umgerechnet 1,4 Milliarden Euro investiert werden, um den Effekt von zwei der vier Reaktoren zu steigern: um bis zu 13,5 Prozent oder 500 Megawatt. Die gleiche Summe soll in den nächsten zehn Jahren auch in die restlichen der Reaktoren gesteckt werden, um aus ihnen 14 Prozent mehr Atomstrom herauszuquetschen. Obwohl ein AKW vom Netz gegangen ist, würde in Schweden dann mehr Atomstrom erzeugt werden als je zuvor. So kommt es zum Ausbau statt zum Ausstieg aus der Atomkraft. Möglich wird das aufgrund einer konzeptionslosen Energiepolitik Stockholms, die Vattenfall und Eon erfolgreich ausnutzen und damit ein Gesamtpaket für den Atomkraftausstieg verhindern können. Bislang kam weder eine Verständigung auf eine maximale Reaktorlaufzeit zustande, noch auf eine Einigung auf ein Produktionsdach nach deutschem Vorbild.

Beinahe gescheitert wäre die Stromwirtschaft mit ihren Ausbauplänen aber an der Justiz. Ein Umweltgerichtshof hatte im April die beantragte Genehmigung der Leistungssteigerung verweigert.

Schweden hat sich nämlich seit der Inbetriebnahme seiner Atomreaktoren eine neue Umweltgesetzgebung zugelegt. An dieser, so das Gericht, müsse sich auch eine Altanlage wie das AKW Ringhals messen lassen, wenn wie beabsichtigt die Leistung gesteigert werden soll. Und nach diesem Gesetz sei das Risiko, dass es beim Betrieb zu einem Unfall mit Austritt von Radioaktivität und in der Folge schweren Schäden für Mensch und Umwelt komme, so groß, dass dies nicht mehr vertretbar sei. Das Werk entspräche den mittlerweile verschärften Sicherheitsstandards nicht mehr.

Die Regierung entschied anschließend, dass die Sicherstellung der Stromversorgung ein höherrangiges Allgemeininteresse darstellt als die Interessen, die das Umweltgesetz schützen soll. Die Regierung genehmigte so den eigentlich gesetzwidrigen Ausbau von Ringhals. Das wird nicht nur von vielen Staatsrechtlern kritisiert. Mit der genehmigten Leistungssteigerung steigt auch die in die Natur freigesetzte Strahlenbelastung – die schwedischen Reaktoren liegen damit ohnehin europaweit an der Spitze. Auch der Anfall von Atommüll steigt proportional. Und weiterhin dürfen 60 Prozent der im AKW produzierten Wärme über Kühlwasser ins Meer geleitet werden – eine reine Energieverschwendung.

Die jetzigen Investitionen in neuen Atomstrom rechnen sich erst nach Jahrzehnten und binden Kapital, das stattdessen in erneuerbarer Energieproduktion investiert hätte werden können. REINHARD WOLFF

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