: Bereit für den Nachthimmel
Verschmelzung Angleichung, Infiltration, Entmischung und Kontrastierung von Sounds: Das Trio Ambiq spielte im Roten Salon der Volksbühne
Es gibt Konzerte, in denen sich ein Publikum mit Songs eines aktuellen Albums in einer anderen Reihenfolge begnügt, in denen kein Ton dem Zufall überlassen ist und jede Stimmung vorhersehbar. Und es gibt Konzerte, in denen sich MusikerInnen auf die Liveness einlassen und damit auch ihre ZuhörerInnen in den Sog des Moments ziehen. Das funktionierte beim Konzert des Trios Ambiq vergangenen Samstag im Roten Salon deshalb so gut, weil sich hier drei Improvisatoren herausragend aufeinander bezogen.
Ihr aktuelles Album, „Ambiq 2“, haben sie live bereits überholt, und so wird das Publikum Zeuge ihrer sich fortentwickelnden Klangsynthesen. Ihr Name, eine Verschmelzung des Versrhythmus Jambus (gr. iambos, für kurz/leicht) und des englischen Ambient, ist Programm, die gleichfalls darin aufscheinende Ambiguität verlockend. Der Klarinettist Claudio Puntin in der Mitte wird gerahmt von Samuel Rohrer am Schlagzeug und Max Loderbauer, der mit dem Buchla200e-Synthesizer sein eigenes Universum vor sich hat. Er sucht nicht oder probiert aus, bei ihm ist jeder Handgriff an Schaltern und Reglern schon eine vorausgehörte Idee davon, wie sich die ausbreitenden Signale mit den Patterns von Klarinette und Schlagzeug amalgamieren. Sehr reduziert, aber stetig quellen Sirenengesänge aus dem Synthesizer, mal als hohe Düsengeräusche, mal tief gurgelnd oder zu blechernen Tropfen geronnen.
Schwingen, abtauchen
Dank weniger elektronischer Effekte klingt das Schlagzeug plastisch und voluminös. Rohrer gelingt die minutenlange Wiederholung von Rhythmen, die sich daraufhin von ihm zu lösen scheinen und in die liquide Akustik der anderen eintauchen. Puntin erzeugt auf Klarinette und Bassklarinette in Zirkularatmung kurze melodische Strukturen, die auch er wiederholt, allmählich verdoppeln sich die visuell wahrnehmbaren Phrasen mit deren hörbaren Verfremdungen. So erklingt die Klarinette gleichzeitig als Instrument und wie mehrstimmige Orgelpfeifen. Puntin schlägt auch ein Glockenspiel an, das elektronisch die Dimension eines schwingenden Gongs bekommt. Seine Beats und die von Rohrer pendeln sich auf komplementäre Grooves ein, die zum Abtauchen einladen.
In der graduellen Angleichung, gegenseitigen Infiltration, Entmischung und Kontrastierung von Sounds agieren die drei Musiker mit alchemistischem Feinsinn. Die Grenzen ihres Tuns verflüssigen sich, und es ist ein Genuss, sich zu fragen, wer hier eigentlich wen spielt.
Anders als Improvisatoren, die in der Livepraxis zusammenfinden, experimentierte das Trio von 2012 an ein Jahr lang im Studio, die ersten Konzerte gaben Ambiq 2014. Jetzt sprengen sie die räumliche Anordnung aus Bühne und ZuhörerInnen in engen Sitzreihen: Adäquat wäre ein runder Raum mit einem Podium in der Mitte, von dem aus sich die Musik in konzentrischen Wellen nach außen ausbreiten kann. So würde auch die katastrophale Beleuchtung im Roten Salon schnell vergessen – Ambiq inmitten eines Planetariums, unter dem Nachthimmel in der Kuppel, das wäre ein astrales Erlebnis.
Franziska Buhre
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