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Der Chor ist nichtso recht zufrieden

Gorki-Theater Rassismus ist das Kapital des Intriganten: „Othello“ von Soeren Voima gleicht einem pittoresken Panoptikum der Außenseiter. Die inhaltliche Botschaft tritt in den Hintergrund

Der Chor papierener Skelette, der einen neuen Text sucht Foto: Ute Langkafel/maifoto

von Katrin Bettina Müller

„Kennt jemand einen anderen Text?“ Unglücklich fragt der Chor am Ende von „Othello“ ins Publikum, nicht zufrieden mit dem Stück, das sie gerade gespielt haben. Und, Überraschung, das sich schon für den Schlussapplaus vorbereitende Publikum weiß jetzt auch keinen anderen Text.

Der Chor, das ist eine Gruppe von als papierene Skelette kostümierten Figuren, die immer schon wie Zombies aussehen. Statisten und Kleindarsteller, voller Empörung über ihre Marginalisierung auf der Bühne, so lernte man sie kennen. Sie mussten die Zyprer spielen, ein nebenbei unterworfenes Volk im Kampf zwischen den Flotten von Venezianern und Türken. Am Ende beklagen sie sich, dass sie, die Kolonialisierten, mal wieder nicht die Protagonisten des Stücks waren. Aber jeder, der hier Chor spielt, hat in anderer Maske eine der Hauptrollen in der Inszenierung von Christian Weise.

Das ist eine kleine Schlusspointe, mit der das Gorki-Theater noch einmal auf die Kluft verweist, die sich auftut zwischen dem, was die Theaterliteratur bietet, und dem, was die politische Situation und der Diskurs als Inhalt verlangen. Das Gorki-Theater unter der Leitung von Shermin Langhoff, schnell berühmt geworden und teils zu Recht, stilisiert sich gerne auch mal als Einzelkämpfer für Gerechtigkeit im Kampf gegen Rassismus und andere Formen der Unterdrückung.

Das führt manchmal, wie jetzt in der Fassung, die Soe­ren Voima (Autor) und Christian Weise (Regie) für das Gorki-Theater von „Othello“ entwickelt haben, zu einem wahren Tummelplatz der Außenseiter, der mit überdrehten Darstellungsformen, Travestie und Parodie so sehr zu einem pittoresken Panoptikum wird, dass er seine inhaltliche Botschaft glatt wieder unterbügelt.

Statisten vollerEmpörung über ihre Marginalisierung auf der Bühne

Alles ist hier auf Karneval gebürstet, auf Theater im Theater, auf ein Spiel mit vielen Codierungssystemen, mit Comic, Geschichte, Zeichentrick, Puppenspiel. Über eine Rutsche kommen die Schauspieler auf die Bühne, sortieren die Glieder wie Marionetten an Fäden. „Pling, pling, pling“ begleitet die Musik laut den Augenaufschlag von Desdemona, die Aram Tafreshian, eckig und noch mit zusätzlichem Brusthaar unter dem zarten Tüllkleid bemalt, mit großer Entschiedenheit und strategischer Schlauheit ausstattet. Kölsch spricht Falilou Seck, im Gesicht sehr bunt bemalt und mit vielen Rüschen in ausladende Weiblichkeit verwandelt als Emilia, Frau von Jago, dem Intriganten. Man kokettiert mit dem Gestus des Volkstheaters, hält das Volk aber, zumal wenn es weiß und deutsch ist, auch grundsätzlich für verdächtig. Jeder Witz ist hier auch eine Falle.

Mit effeminierten Gesten, zierlich, drollig und auch steif wie eine Puppe, gibt Oscar Olivio den Cassio, dem Othello einen wichtigen Posten als Leiter einer militärischen Operation übergibt. Und ihn, Cassio, als schwul zu diffamieren, ist die erste Intrige des eifersüchtigen Jago (Thomas Wodianka), bevor er dazu übergeht, Othello (Taner Sahintürk), der bis dahin als Einziger nicht exaltiert agiert und sich stets sehr vernünftig anhört, in die Rolle eines verachteten Wilden hineinzuquatschen.

Nun hat der Text von Soiren Voima in den Überlegungen des bösen Jago oder auch in den trauernden Monologen des sich betrogen glaubenden Othello Passagen, die den Rassismus und die Arbeit der Projektionen sehr genau bei der Arbeit beobachten. Für Jago ist der Rassismus das Kapital seiner Intrige. Für Othello, der vom Außenseiter zum obersten Feldherrn wurde, ist er Teil seiner Geschichte, er hat ihn in vielen Spielarten erlitten. Aber die Textpassagen sind jeweils eingewoben in so viele Volten, in so viele Sprünge zwischen den Ebenen des Spiels, dass sie in diesem Spiegelkabinett zu nicht mehr als Splittern werden. Die Gedanken haben keine Chance, in dieser Inszenierung ihre Wucht zu entfalten, dafür ist sie zu laut, zu aufgedreht und zu verliebt in den Klamauk.

Wieder im Gorki am 27. + 28. 2., 27. + 28. März

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