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Philosophie für den Fick

OPER David Hermann hat an der Deutschen Oper „Die Sache Makropulos“ von Leoš Janáček inszeniert – mit Volte: ohne Tod

von Niklaus Hablützel

David Hermann hat den schwierigeren Weg gewählt. Üblicherweise erzählen Aufführungen der zweitletzten Oper von Leoš Janáček die Geschichte einer schönen Frau, die nach nunmehr 337 Lebensjahren endgültig genug hat von den Männern. Sie versucht mit allen Mitteln, an das Rezept für die Medizin zu kommen, die ihr Vater für den spinnerten Kaiser Rudolf II. gebraut hatte. Der Habsburger wollte 300 Jahre lang leben, aber sein Leibarzt Makropulos möge die Sache erst einmal an seiner eigenen Tochter Elina ausprobieren.

Die fiel in Ohnmacht, der Leibarzt in Ungnade, aber die Sache Makropulos kehrte mit Karel Capek 1922 auf ein Theater in Prag zurück. Janáček war fasziniert. Sein Leben und Werk sind umfassend erforscht, daher weiß man sehr genau, wie sehr er sich vor dem Sterben fürchtete. Er hasste den Tod und liebte die Frau, die in Capeks Komödie nur ein männerfressendes Monster war.

Für den dritten Akt seiner Oper nach Capeks Vorlage schrieb er auch den Text selbst. In Tschechisch natürlich, denn Janáček war radikaler Panslawist. Umgehend kam es zu endlosen Streitereien mit Max Brod, seinem Förderer und Übersetzer. Die beiden hatten sich kurz davor schon um „Das schlaue Füchslein“ gezankt, weil Brod mit dem pantheistischen Naturglauben des Originals nichts anfangen konnte. „Unlogisch“, schrieb Brod, sei auch jetzt das Ende der Elina Makropulos, die mal wieder in Ohnmacht fällt. Danach solle sie singen „Wunderschön war’s, wie der Tod mich zart angerüht“ schlug Brod vor. „Der Tod ist niemals schön“, donnerte Janáček zurück. Am Ende einigten sie sich auf „nicht so schlimm“. Die Zeit drängte, denn ohne deutsche Übersetzung hätte die neue Oper keine Chance in Wien und Berlin gehabt.

Heute wird sie an der Bismarckstraße auf Tschechisch gesungen. Das ist wegen der Übertitel kein Problem, aber David Hermann hat sie auch tschechisch inszeniert, in Janáčeks Original (ohne Max Brod) und mit offenem Ende. Das macht die Sache schwierig. Die Kriminalkomödie mit einem guten Dutzend Männerrollen, die um eine Operndiva herumtollen, kann so nicht gespielt werden. Emilia Marty ist nicht nur rätselhaft, weil sie Täterwissen aus vergangenen Jahrhunderten offenbart, ihr Plan und ihr Handeln sind eine intellektuelle Herausforderung für die Bühne, die Sängerin und auch für das Publikum. Nach der Premiere vom Freitag hat es sich dafür mit anhaltendem Applaus bedankt.

Evelyn Herlitzius singt die enorm schwierige Partie mit der Elementarkraft ihrer Stimme und zeigt dabei eine Frau, die ständig dabei ist, unsichtbare Grenzen zu überschreiten. Zierlich, eher unsicher als abweisend, betritt sie die Szene. Hermann hat ihr fünf Statistinnen zur Seite gestellt, in historischen Kostümen für die Epochen ihres Lebens seit dem 16. Jahrhundert. Manchmal schaut sie sich nach ihnen um, umarmt sogar eine von ihnen, als suche sie Halt in der Zeit. Ihre Forderungen jedoch stellt sie sehr entschieden; die Männer verlieren allesamt den Verstand. Die Verliebtheit ihres eigenen Urenkels versucht sie wegen Inzestgefahr zu bremsen, alle anderen erotischen Verwirrungen nimmt sie als Fakt zur Kenntnis.

Was aber will sie selbst? Sicher nicht sterben. Man muss Janáček zuhören. Er begann die Komposition 1923 und schrieb mit seiner nunmehr ausgereiften Methode der freien Sprachmelodie eine unglaublich starke, plastisch illustrierende Musik, die nirgendwo auch nur den Hauch einer Todessehnsucht erklingen lässt. Im Gegenteil.

Alle liegen auf dem Boden, ihre Glieder klappern. Die Rückwand öffnet sich

Donald Runnicles und sein Orchester spielen mit bewundernswerter Leidenschaft aus, worauf es Janáček ankam: mächtig donnernde Pauken, flirrende Klangteppiche, dunkle, erdverbundene Klangfarben von Streichern und Bläsern feiern die Natur und das Leben.

Für einen kurzen Fick hat Marty das Rezept ihres Vaters ergattert und muss jetzt den fälligen philosophischen Vers über den Sinn der Sterblichkeit herunterbeten. Alles, sogar Himmel und Erde, seien ihr langweilig, singt Herlitzius ruhig und ohne Dramatik. Nicht einmal dafür hat Janáček eine Klagemelodie erfunden.

Danach kann Hermann die Ernte seines mitunter etwas ermüdenden Konzepts einfahren. Es geht dieser Rätselfrau nicht um ihr eigenes Weiterleben. Sie bietet das Rezept allen an, vor allem der jungen Sängerin, die sie den ganzen Abend lang angehimmelt hat. „Du wirst so berühmt wie ich“, singt Herlitzius jetzt mit voller Kraft in das tosende Orchester hinein. Aber alle liegen auf dem Boden; vor Angst klappern die Glieder. Die Rückwand öffnet sich zu einem neuen Innenraum, und Herlitzius schreitet hinein. Janáček lebt.

Nächste Vorstellungen: Deutsche Oper, Do. 25. 2., 19.30 Uhr, und So. 28. 2., 18 Uhr

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