: Dank für schmerzhafte Erkenntnisse
KULTURCRASH Zum vierten Mal setzt sich das Festival „Krass“ zehn Tage lang künstlerisch mit transnationalen Phänomenen auseinander. Im Fokus diesmal: die Herausforderungen der Flüchtlingskrise
von Robert Matthies
Es sind schmerzhafte Erkenntnisse, mit denen Europa durch die große Zahl der Fliehenden seit dem vergangenen Jahr konfrontiert wird. All das Geld und die Energie, die seit Jahrzehnten in die Sicherung der Außengrenzen investiert wurden – umsonst: Aufhalten lassen sich Menschen, die vor Bomben fliehen, nicht. Aber auch im Inneren des Kontinents liegt aller Willkommenskultur zum Trotz schon lange vieles im Argen: Osteuropa versinkt in chauvinistischen Nationalismen, auch andernorts rüsten sich die ewig Gestrigen und Angsthasen zum Widerstand.
Wir sollten den Geflüchteten dankbar sein, dass wir nun alle mit diesen Erkenntnissen konfrontiert werden, davon ist Branko Šimić überzeugt: „Wenn nicht so etwas Drastisches passiert wäre, wäre es kein Thema, mit dem wir uns notwendig auseinandersetzen müssen“, sagt der Schauspieler und Regisseur. Mit den Verwerfungen eines von Grenzen durchzogenen Europas beschäftigt sich Šimić schon lange: das von ihm kuratierte, zehn Tage dauernde Kulturcrash-Festival „Krass“ auf Kampnagel setzt sich nun schon zum vierten Mal mit inter-, multi- und transnationalen Phänomenen auseinander.Dabei weiß Šimić, wovon er spricht. 1992, zu Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, hat er sich selbst auf jenen Weg gemacht, auf den sich nun auch die Menschen aus Nordafrika, Syrien oder Afghanistan machen. Von Sarajevo, wo er Schauspiel studierte, ging es ins serbische Belgrad.
Drei Monate arbeitete Šimić in Subotica an der Grenze zu Ungarn noch am Theater, dann kam das serbische Paramilitär mit seinen Panzern in die Stadt. „Das war für mich so ein drastisches Bild“, erinnert sich Šimić, „dass ich am Theater gekündigt habe, zu Fuß über die ungarische Grenze gegangen bin und einen Zug nach Budapest genommen habe.“
Schließlich landete er in Hamburg, studierte hier Regie, inszeniert seitdem am Thalia Theater ebenso wie bei den Wiener Festwochen und am Schauspielhaus Dresden, aber auch am Nationaltheater Sarajevo oder am Theater seiner Geburtsstadt Tuzla in Bosnien-Herzegowina.
Geschichten von Flucht und Migration sind für Šimić Erzählungen von grundsätzlichen menschlichen Erfahrungen. „Ob man aus Ostpreußen, Jugoslawien oder Syrien flüchtet, spielt überhaupt keine Rolle“, findet er. „Es ist immer dasselbe Muster, die gleichen Gefahren, dieselben psychischen Zustände.“
Von Beginn an hat sich das „Krass“-Festival vorgenommen, eine Plattform für diese Geschichten zu entwickeln. Geschichten, für die eine angemessene Form immer neu gefunden werden müsse, ohne von vornherein politisch zu werten. Das gelingt nicht immer auf Anhieb. „Aber wir haben einen Moment erreicht, wo wir auch eine ästhetische Grenze überschritten beziehungsweise in alle Richtungen verschoben haben“, sagt Šimić. „Es geht darum, alle relevanten ästhetischen Einsätze zu verbinden.“
Er selbst ist beim Festival mit einem dreiteiligen Theaterlabor vertreten, das Antworten auf Fragen sucht, die Geflüchtete an Deutschland stellen. „Kwizkotheka“ heißt es, wie ein populäres und überaus anspruchsvolles Quizformat aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das Format ermögliche, einen spielerischen, offenen Umgang mit einem ernsten Thema zu finden – der erste Teil der „Kwizkotheka“ heißt: „Wie das Lächeln aus dem Gesicht von Beate Zschäpe verschwindet“. Es ist ein Stück, das den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und seine Symbolfigur Zschäpe mit den heutigen Entwicklungen einer polarisierten Gesellschaft konfrontieren möchte, die sich zwischen Willkommenskultur und Pegida aufreibt.
„Es gibt in Bezug auf den NSU so viele Geheimnisse, so viel Ungeklärtes, so viel Absurdes und Widersprüchliches“, erklärt Šimić. „Auf diesen Momenten beruht unsere Show.“ Es ist eine eigentümliche Form von Dokumentartheater: Fast alle Theaterstücke zum Thema, alle Filmdokumentationen haben Šimić, der Dramaturg Nikola Duric und die Bühnenbildnerin Martina Stoian studiert, haben Akten gewälzt und aus all dem eine Quizshow gebastelt. Mit den Mitteln der Unterhaltungsmaschine ließe sich so der Mythos NSU und der Kult um Beate Zschäpe zerstören – „mit großer Freude und Leidenschaft“.
Mit ebenso großer Leidenschaft gehen auch die anderen Künstler ans Werk, die Šimić dieses Jahr eingeladen hat. Eindrucksvoll verspricht etwa der Abschluss des Festivals zu werden: Der Abend „Roma Protest“ widmet sich mit einer Performance, einem Fotovortrag und einem Konzert der Situation der europäischen Roma angesichts der nun forcierten Abschiebungen gegen Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“.
Die serbische Künstlerin Tanja Ostojic zeigt dort in ihrer Performance „Naked Life“ Geschichten aus dem Leben von Roma, die die Brutalität und Ausgrenzung beschreiben, mit der Minderheiten konfrontiert werden. Auch das ist eine dieser schmerzhaften Erkenntnisse, für die wir dankbar sein sollten.
Do, 25. 2., bis So, 6. 3., Kampnagel. www.krass-festival.de
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