: Lost in Globalisation
KAPITALISMUS Weltweite Wirtschaft, grenzenlose Verzweiflung – und allenfalls die kleine Flucht ins gestreamte Lieblingslied am Pausenraum-Tisch: Thomas Dannemann inszeniert am Schauspiel Hannover Alexandra Badeas Stück „Zersplittert“
von Jens Fischer
Grenzen waren gestern. Heute scheinen alle mit allen in der globalisierten Arbeitswelt vernetzt zu sein – sind sich aber keinesfalls nähergekommen. Fremd- und Selbstausbeutung bestimmen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Diese nicht völlig unbekannten, umso schmerzhafter aktuellen Thesen hat die Autorin Alexandra Badea bei einem international tätigen Autokonzern recherchiert: Sie reiste zu Mitarbeitern rund um die Welt und führte anschließend vier von ihnen beispielhaft zusammen, auf der Theaterbühne. Das aber geschieht nicht dokumentarisch auratisiert als Experten ihrer selbst, sondern mit einem sachlich sensibel beschreibenden Text.
„Pulvérisés“ heißt das Stück der gebürtigen Rumänin im französischen Original, feierte seine Uraufführung 2014 im Théâtre National de Strasbourg und kommt in Hannover nun als deutsche Erstaufführung heraus: „Zersplittert“. Schon der Sprachspagat zwischen Original und Übersetzung verdeutlicht zwei Seiten der Globalisierungskritik: Wird im deutschen Titel das Stückpersonal als jederzeit billig zu ersetzender Splitter einer weltumspannenden Maschinerie kenntlich, klingt im fanzösischen ein Zerriebenwerden an – zu Pulver, das kein Sandkorn im Getriebe mehr sein kann.
Vorgestellt wird da die Entwicklungsingenieurin in Bukarest (Susana Fernandes Genebra), die unbedingt einen Job in der französischen Zentrale haben will. Ganz Selbstoptimierung, ist sie jederzeit bereit, mit aufgeschminktem Strahlelächeln „bereit zur Exzellenz“ zu salutieren. Sie überwacht nicht nur penibel ihre eigene Arbeit und die Kollegen, sondern per Video auch ihr Kind daheim und dessen Nanny. Ein Monster an Effektivität. Genussvoll erzählt sie von den einzigen privaten Minuten morgens unter der Dusche: Die dort sich selbst spendierten Zärtlichkeiten – die einzigen des ganzen Tages.
In Shanghai agiert eine Fließbandarbeiterin (Mareike Sedl) unter dem Druck der Akkord-Vorgaben träge vor sich hin, ist dank Arbeitsüberwachungstechnik, Sprechverbot und streng limitierten WC-Besuchen zu einer Art gut funktionierendem Roboter geworden. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar kämpft der Teamleiter einer Telefonhotline (Henning Hartmann) einen höchst absurden Kampf: Er tauft einheimische Mitarbeiter neu – mit französischen Namen – und erzwingt Haute cuisine in der Kantine.
Zwischen diesen Orten jettet dann ein Controller (Christoph Müller) hin und her. „Dasselbe identisch formatierte keimfreie heitere Design“ der Hotels lässt ihn schon morgens zweifeln, in welcher Zeitzone, welchem Land er gerade aufgewacht ist. Besucht er also erst mal per Skype seine Familie in Lyon – gleichzeitig aber auch den Livestream seines Lieblings-Pornostars.
Überall entpersonalisierter Alltag, die Figuren selbst kommen kaum noch vor. Hüllen ohne Ort sind sie, reduziert auf menschliche Grundbedürfnisse. Und müssen doch immer schneller, besser, schöner Markttauglichkeit beweisen. Private Wünsche, Sehnsüchte, Gefühle verschiebt man in die Fantasie. So sehnen sie sich, wenn der Alkohol mal wieder nicht ausreichend sediert, nach Vergessenkönnen, nach dem Wegträumen aus der leeren Hölle vollgestopften Daseins. Lost in Globalisation.
Autorin Badea führt diese Motive durch alle Figuren, arbeitet an einem Update jenes unspezifischen Gefühls, das Karl Marx Entfremdung genannt hat, Max Weber Entzauberung und Sigmund Freud Unbehagen an der Kultur: Dieses Fremdsein in einer immer engmaschigeren Vernetzung einerseits der abstrakten Arbeitswelt, andererseits der flüchtig fragmentarischen privaten Welt. Soziale Identitäten verdampfen da wie der Glaube an die individuelle Autonomie.
Der hannoversche Regisseur Thomas Dannemann nutzt das im Text mitschwingende Klischee – menschliche Kontakte pflegt der globalisierte Homo oeconomicus allenfalls noch in digitalen Welten – und macht die Webcam zum inszenatorischen Prinzip: Alle Darsteller filmen ihr eigenes Tun, ununterbrochen, und die dabei entstehenden Sequenzen werden folgerichtig projiziert – Quadratmeter groß. Ausgerechnet das Medium ihrer Überwachung nutzen die Figuren ihrerseits zur Selbstkontrolle und zur Annäherung an sich selbst. Während sie monologisch ihr Leid klagen, zoomen sie ganz nah ans eigene Minenspiel heran. Was die schauspielerische Energie nun aber leider nicht potenziert, sondern vielmehr einiges abzieht von der Energie der eigentlich famosen Akteure.
Kunstvoll gewollt funktioniert das Bühnenbild von Heike Vollmer: Da steht ein Kasten auf die Bühne, die Unternehmenskiste – darum dreht sich alles, darin spielt sich fast alles ab. Dannemann zeigt, dass die arbeitenden Menschen just jenes System in Bewegung halten, das ihnen das Menschliche raubt. Fluchtbewegungen sind zu müden Auszeiten am Rauchertisch geworden: noch mal eben den Lieblingssong hören, bei Youtube. Zur Identifikation in der Analyse ihrer Situation kommen die Figuren per Playbacktrick: Eine Frau erklärt ihr Leben, ein Mann bewegt passend dazu den Mund. So entsteht keine zersplitterte, aber konzentriert orientierungslose Anklage der wirkungslosen oder gleich ganz fehlenden Ausbruchsstrategien. Die Inszenierung grenzenloser Verzweiflung.
weitere Vorstellungen: 26. 2., 20 Uhr; 19. 3., 20.30 Uhr, Cumberlandsche Bühne, Hannover
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