Claudius Prösser hat sich mit der neuen Werbestrategie Berlins vertraut gemacht: Die Zahl des Bären
All about Berlin“ steht leuchtend rot auf der Pressemappe, die zur „Tourismus- und Kongressbilanz 2015“ am Donnerstag im Kreuzberger Meistersaal ausgehändigt wird. Ist das womöglich der neue Hauptstadt-Slogan? Immerhin hieß es in der Einladung vielsagend: „Wir möchten Ihnen eine Idee vorstellen, mit der Berlin seine Stärken in Kultur und Tourismus weltweit vermarkten wird.“ Da darf man schon ein bisschen gespannt sein.
Eingeladen hat „visitBerlin“, die gemeinsame Tourismus-Agentur des Landes und seiner führenden Hoteliers, gekommen ist sogar der Regierende Bürgermeister, denn es gibt schon wieder einen Superlativ zu vermelden: 30 Millionen Übernachtungen! 30,25 Millionen Mal sind BesucherInnen vergangenes Jahr in mehr oder weniger weiche Metropolenbetten gefallen, ein Plus von 5,4 Prozent gegenüber 2014 und, schnallen Sie sich an, von mehr als 300 Prozent gegenüber 1990! Diese Stadt ist ein Magnet!
Für den Regierenden ist das selbstverständlich ein Grund zur Freude („Riesen-Wirtschaftsfaktor“, „zigtausende Arbeitsplätze“), allerdings bleibt er cool genug, um sich nicht damit zufriedenzugeben („kann gerne noch mehr werden“, „wir arbeiten dran“). VisitBerlin-Chef Burkhard Kieker, um griffige Labels nicht verlegen, zählt Berlin ab jetzt zum „Club der Ü30“, einer Tourismus-Liga, in der sonst nur New York, London, Paris, Hongkong, Singapur und das oberschweineöde Dubai spielen. Wahrscheinlich hat Berlin die stinkreiche Wüstenstadt in Wahrheit längst überholt, denn „Sofasurfer“ dürfte es dort praktisch keine geben. An der Spree hingegen kommt, so mutmaßt Kieker, auf jede bezahlte Übernachtung eine weitere informelle.
Ein Reizthema bleibt natürlich nicht unerwähnt: Wie das denn zusammenpasse, wird gefragt, dieses schwindelerregende und dabei durchaus erwünschte Wachstum der Gästezahlen und das Zurückdrängen der Ferienwohnungen? Na ja, sagt Müller, es gehe ja nicht einfach um die Zahl der zweckentfremdeten Wohnungen, sondern darum, dass die sich in den beliebten innerstädtischen Kiezen ballen. Das soll aufhören. Und Kieker ergänzt, Berlin dürfe sich nicht in ein Disneyland verwandeln, man schaue nach Venedig, da gebe es in der Lagune ja gar keine Venezianer mehr. „Das wird irgendwann so künstlich, dass die Leute das Interesse daran verlieren.“
Ach ja, die geheimnisvolle Idee: Der neue „Claim“, so heißt das ja längst, lautet in Wirklichkeit „Berlin 365/24“. Das soll an „24/7“ erinnern, weil Berlin eben rund um die Uhr brummt und knistert und vibriert wie ein vollautomatischer Designer-Tanzbär.
Warum die Tage vor den Stunden stehen und nicht, wie in der gebräuchlicheren Wendung, dahinter, bleibt ein Geheimnis. Vielleicht soll man das Gebilde ja auch als Rechenaufgabe begreifen – 365 geteilt durch 24 macht 15,208 Periode 3, die Zahl des Bären.
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