: Kollege der Nasenmenschen
PORTRäT Der Leipziger Cartoonist Beck zeichnet, um Spuren zu hinterlassen – nicht die ganz großen, eher die kleinen, persönlichen. Als Weltveränderer sieht sich der leidenschaftliche Kaffeehaussitzer und Beobachter nicht. Zu sagen hat er dennoch jede Menge
aus leipzig Hanna Voss
Ein älterer Mann, kahlköpfig, mit Brille und großer Nase, sitzt am Steuer eines leuchtend grünen Autos. Verbissen hängt er so dicht hinter dem Lenkrad, dass er es mit seinem Gesicht beinahe berührt. Offenbar in Schrittgeschwindigkeit versucht er eine Straße an einem steilen Berg emporzufahren. Hinter ihm hat sich längst eine Schlange aus grauen, blauen und orangefarbenen Autos gebildet. Erfreut dreht sich die Enkelin des Seniors auf dem Beifahrersitz um und ruft: „Cool, Opa, du hast schon fünf Follower.“
Menschen, Technik und der vermeintliche Fortschritt – das sind unter anderem die Lieblingsthemen des Künstlers Beck. Er bringt sie erst auf Papier, dann in Kalender, Bücher, auf Postkarten und in Zeitungen wie auch in diese. Er zeigt sie bei Ausstellungen in Frankfurt oder in Leipzig, seiner Heimatstadt.
Mit hochgeklapptem Mantelkragen kommt Beck ins Café Grundmann im Leipziger Süden. „Tschuldigung, tschuldigung“, sagt er, drückt sich durch eine Gruppe von Menschen und steuert auf seinen Stammtisch zu – einen kleinen runden mitten im Raum. Keine Wand in der Nähe, keine Pflanze, nicht mal ein Garderobenständer. Kein Halt. Ein Blick aus der Fensterfront gelingt nicht so richtig, dafür aber einer auf die Wanduhr, die über der Toilettentür hängt und auf 12.05 Uhr stehengeblieben ist. Tische wie dieser bleiben in einem Café für gewöhnlich erst einmal leer. Für Beck ist er perfekt: „Von hier hat man den Raum gut im Griff.“
Als Cartoon-Zeichner braucht er die Gespräche, die Gesichter der Leute, die Kuriositäten. Manchmal auch ganz einfache Dinge: „Ich vergesse zum Beispiel immer, dass Menschen wirklich Pascal heißen. Das höre ich hier dann hin und wieder.“ Beck braucht eine Sitzgruppe hier, ein paar Hipster da, und eine Geburtstagsfeier am anderen Ende des Raums.
Wie zum Beweis sitzen am Tisch nebenan zwei mustergültige Hipster-Exemplare. Junge Männer mit perfekten Gesichtern, Wiedehopf-Frisur, Lederjacke und Socken – sichtbar in die Turnschuhe gestopft. Mit todernsten Mienen verfolgen sie das Geschehen in der Zeit und in der FAZ und ziehen zwischendurch Streifen von ihren Croissants. Würde sich einer von ihnen doch jetzt nur einen Schnurrbart ankleben oder über die Café-Gäste bloggen, während der andere ihn fotografiert – Becks nächster Cartoon wäre perfekt. Und seine kleinen schwarzen Skizzenbücher hat er ohnehin dabei. Darin geht es chaotisch zu. Beck kritzelt seine Ideen in Sprechblasen, streicht viel durch, verbindet mit Linien und Pfeilen.
„Merci vielmals“, sagt Beck zu dem Kellner, der ihm seine heiße Schokolade bringt. Täglich frühstückt er im Café Grundmann. „Besonders wenn es draußen in Strömen regnet, ist das ein wunderschöner Ort.“ Er wirft seine Brille auf den Tisch und einen Blick durch den Saal. „Das ist das, was man sich unter Kaffeehaus vorstellt.“ Kaffeehäuser, wie es sie etwa in Paris und Wien gibt. Nur die Spiegel fehlten, um mit den Menschen zu flirten oder wenigstens zu gucken. Beck dreht die Bügel seiner Brille in den Händen. Der Brille folgt ein Löffel, Beck scheint immer einen Stiftersatz zwischen den Fingern zu brauchen.
Mit Vornamen heißt Beck Detlef. Doch weil es „auf der Welt keinen schlimmeren Namen gibt“, nennen den 59-Jährigen alle einfach Beck, auch seine Ehefrau. In Leipzig geboren und aufgewachsen, zog die Familie Anfang der 1960er Jahre weg, weil die Luft in der Stadt so schlecht war. „Wenn es schneite, war der Schnee Stunden später schwarz“, erinnert sich Beck. Noch vor Beginn seines Kunststudiums in Berlin-Weißensee in den 80ern wagte er es, aus der Partei auszutreten – und wurde prompt exmatrikuliert.
Naiv in Berlin
„Vorher habe ich wirklich noch an Gerechtigkeit geglaubt“, sagt er und vertieft die Grübchen und Falten um Augen und Mund mit einem Lächeln. „Ich war ja so naiv.“ In Berlin ist Beck trotzdem geblieben, auch wenn es dort nun wirklich überhaupt keine Kaffeehäuser gibt.
Aber es gab Konsum Berlin, und Beck, der die Schriftgestaltung in der Werbung übernahm. Die Wende bot dann viele Chancen für den jungen Künstler: „Wie es immer so ist: Man muss nur jemanden kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt.“ Und Witze zeichnen, das machte er ja schon lange. Als er nicht zum Geburtstag der klugen, intellektuellen Tante in den Westen reisen durfte, versetzte er Goethe in eine DDR-Meldestelle – sein erster Cartoon. Sich selbst versetzte er damit in die Lage, Zeichnungen den Verlagen anbieten zu können. Heute zählen zu Becks Kunden unter anderem der Stern, die Zeit und die taz. In den Anfangsjahren jedoch lehnten etwa das Satiremagazin Eulenspiegel und die Berliner Stadtillustrierte Zitty meistens ab.
„Ach, nichts von meinen Zeichnungen war witzig genug“, sagt Beck ohne Umschweife. Beck ist keine Diva, er ist lieber wie eine seiner Figuren. Jemand mit Alltagsproblemen, jemand, der bei der neuesten Technik nicht immer hinterherkommt. Sein Handy etwa ist ein neongelbes Exemplar aus dem letztem Jahrtausend. Sein schlichter blauer Pulli ist ein bisschen ausgeleiert, sein kurzes schwarzes Haar von grauen Strähnen durchsetzt. Beck ist bescheiden. Er kann sich nicht nur selbst kritisieren, er nimmt die Möglichkeit einer Kritik direkt vorweg, indem er sagt, dass etwas schlecht war. Reale Personen könne er gar nicht karikieren. „Dafür habe ich kein Talent.“ An Kohl und Westerwelle sei er gescheitert. Einmal hat er Hitler über eine Landkarte beugen und ihn fragen lassen, ob Stalin eigentlich auf Facebook sei.
Witze testen: Heute am Aschermittwoch wird sie eröffnet: die große Frankfurter Einzelausstellung des großen BeCK im Caricatura Museum für komische Kunst. Bis zum 12. Juni ist die I-a-Werkschau des emsigen Leipziger Humorarbeiters zu sehen. Dabei geht es auch um das verschlungene Thema Kreisverkehr. Mehr wird nicht verraten, doch, hier noch die Adresse: Weckmarkt 17, 60311 Frankfurt (www.caricatura-musem.de)
Beck zeichnet, um Spuren zu hinterlassen. Seine eigenen, um genau zu sein. „Verändern werden diese Bildchen in der Welt nichts“, sagt er. Nazis würden sich schließlich nicht seine Nazi-Bildchen an den Kühlschrank heften. Aber man möchte ja nicht so schnell vergessen werden. Und sei es nur, wenn später einmal Menschen über seine Zeichnungen gebeugt prusten: „Was, das fanden die witzig?!“
„Sein Personal“, wie Beck seine Schöpfungen nennt, sind die Nasenmenschen. Über den Nasen sitzen meist zwei Punkte für die Augen, darunter manchmal nur ein angedeuteter Strich für den Mund. Minimalistische Zeichnungen mit maximalem Effekt. Im Kalender für vergangenes Jahr wickelt eine blonde Dame Brote ein, ihr Mund ist nur eine hauchdünne, gerade Linie. Beck schafft dennoch, dass sie vage unglücklich aussieht. Sie denkt: „Jeden Morgen packe ich die Pausenbrote für meinen Mann wie kleine Abschiedsgeschenke ein. Trotzdem kommt er immer wieder zurück!“
Neben dem Dauerthema Mann und Frau probiert es Beck auch mit gesellschaftlich-politischen Zeichnungen; etwa wenn er Burka-Trägerinnen den Tipp gibt: „Schocken Sie Ihren lokalen Fremdenhasser, indem sie an Halloween noch ein Segway druntertun!“ In Zukunft möchte Beck vor allem mehr Tiere malen. Es gibt schon eine Postkarte mit einem Pferd, das mittels einer umgedrehten Eistüte auf der Stirn versucht, wie ein Einhorn auszusehen – im Hintergrund lacht sich einer seiner Zossen-Genossen halb schief.
Inspiriert wird Beck von seinem diabeteskranken Kater zu Hause, der – weil er ja das Haustier von Beck ist – einfach Kater heißt. Wenn er zeichnet, sitzt er immer ein bisschen schräg zum Tisch. Auch im Café Grundmann bereitet er seiner Wirbelsäule keinen Gefallen. Beck sagt: „Meine Ehefrau nennt mich dann immer Quasimodo.“ Beinahe so, als wäre Beck selbst eine Schöpfung von Beck.
Er spricht davon, Figuren zu renovieren oder Lieblinge unter ihnen schon mehrfach reingelegt zu haben. Sie sind mehr als seine Schöpfungen, sie sind Kollegen. Beck hat mit diesen Kollegen ganze Bücher gefüllt, sein letztes Werk „Lebe deinen Traum“ (Lappan-Verlag) hat 416 Seiten. Wer wissen will, wie der Tod zu seinem Beruf gekommen ist, sollte es sich zulegen.
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