piwik no script img

Dein Freund, der Papst

LIEBE Der gestrenge Papst Johannes Paul II. soll über Jahrzehnte mit einer verheirateten Frau verkehrt haben – rein freundschaftlich. Was, wenn das einfach wahr wäre?

Da schau hin: der Papst Foto: Damir Sagolj/reuters

von Philipp Gessler

Es gibt Kategorien von Humor, über dessen Verschwinden man nicht traurig sein sollte. Das gilt zum Beispiel für die unsäglichen „Häschen“-Witze, deren Welle Gott sei Dank irgendwann in den 1980er Jahren im großen Vergessen versickerte. Noch viel weniger ist das Aussterben von Judenwitzen im öffentlichen Diskurs zu bedauern, und wer diese Witze heute noch macht, der hat alles über sich selbst schon gesagt.

Auch die „Haushälterinnen“-Witze in der katholischen Kirche sind eine fast schon ausgestorbene Humorsparte, um die es nicht traurig ist. Der Pfarrer mit seiner Haushälterin, hoho!, das war in der Regel so klebrig und verklemmt, dass man nicht wusste, für was man sich mehr fremdschämen musste: über die, die solche Witze erfinden – oder die, die darüber lachen.

Nun hat eine, sagen wir: „Recherche“ der BBC einen Anlass für ein kurzzeitiges Aufleben solch schmieriger Fantasien gegeben: Ein Dokumentarfilmer hat herausgefunden, dass der Vorvorgänger von Papst Franziskus, der jüngst heilig gesprochene Papst Johannes Paul II. (Amtszeit: 1978–2005), eine enge Freundschaft mit einer US-Amerikanerin polnischer Herkunft pflegte. Es war die Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka (1923–2014). Der Autor des Films mit dem reißerischen Titel „Die Geheimnisse von Papst Johannes Paul II.“ beschreibt die Beziehung der beiden so: Sie seien „mehr als Freunde, aber weniger als Liebhaber“ gewesen.

Ja, das soll es geben zwischen Frauen und Männern: enge Freundschaften, die nicht im Bett landen. Wer glaubt, das gäbe es nicht, die „Harry-und-Sally“-Frage wäre noch offen, der oder die darf sich fragen lassen, welche Beziehung er oder sie eigentlich zum fremden (oder eigenen) Geschlecht hat: ob eine enge Beziehung immer die geschlechtliche Note haben muss. Wer so denkt, denkt ziemlich ärmlich. Und wenn manche Leute in Bezug auf die katholische Kirche fast zwanghaft nur noch die Wörter „Zölibat“ und „Sex“ stammeln, dann ist das einerseits ein Problem dieser Kirche, die ihre Botschaft offenbar diesen Menschen nicht vermitteln kann – andererseits aber auch Ausdruck eines öffentlichen Diskurses, der über nichts lieber spricht als über das, was unter Bettlaken stattfindet.

Ja, das soll es geben zwischen Frauen und Männern: enge Freundschaften, die nicht im Bett landen

Also, große Enttäuschung: Die Beziehung von Johannes Paul II. (bürgerlich: Karol Wojtyła) mit Anna-Teresa Tymieniecka blieb offenbar immer platonisch. Man hat den Papst mal auf Fotos mit ihr gesehen, vor einem Zelt mit kurzen Hosen. Skandal! Sie hat ihn nach dem fast tödlichen Attentat 1981 im Krankenhaus besucht, ebenso einen Tag vor seinem Tod 2005. Er hat sie in Briefen „meine liebe Teresa“ genannt, gar geschrieben, dass er sie „überall, in allen Situationen, spüre“. Das ist rührend. Wo aber ist die Story?

Soll ein Papst überhaupt keine Freundschaft mehr zu Frauen haben? Was für ein spießiges, verklemmtes oder ideologisches Welt- oder Kirchenbild spiegelt eine solche Idee, besser: ein solcher Wahn? Manchmal hat man den Eindruck, dass die beiden Gruppen, die sich scheinbar so fern stehen, doch ganz nahe beieinander sind: die Kirchenfeinde, deren Gedanken nur noch um das schreckliche Zölibat kreisen – und die Kurienkardinäle, deren Obsession der sündige und zu verbietende Sex in der Priesterschaft oder im Kirchenvolk ist. Beides Fälle von Fremdschämen. Übrigens: Papst Franziskus war früher ein offenbar passabler Tango-Tänzer. Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, schwang früher in seiner Heimatstadt Geseke bei Schützenfesten das Tanzbein. Und ziemlich wahrscheinlich ist, dass Karol Wojtyła vor seiner „Berufung“ mal eine, auch sexuelle, Beziehung zu einer Frau hatte. Schlimm, schlimm!

Was lernen wir daraus? Man mag die häufig erzkonservative Kirchenpolitik von Johannes Paul II. und sein fast verzweifeltes Festhalten am Zwangszölibat für alle Priester alles in allem für historische Fehler halten, über die die Zeit hinweggehen wird. Die Sexualmoral der katholischen Kirche und erst recht der lange vertuschte Missbrauchsskandal in ihren Reihen sollten allen katholischen Gläubigen immer noch die Schamesröte ins Gesicht treiben. Die neuesten „Enthüllungen“ der BBC-Dokumentation aber zeigen das Bild eines Papstes, der eben nicht so borniert, verklemmt und spießig war, wie manche glauben oder glauben möchten. Wojtyła und Tymieniecka, Karol und Teresa, das war eine ganz tiefe Freundschaft, mehr nicht. Und Liebe gehört zu jeder Freundschaft, die diesen Namen verdient.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen