: Tuckernd auf der Kohlenroute
AKTIV-URLAUB Eine Woche mit dem Hausboot auf dem Marne-Rhein-Kanal ist eine entspannte Art des Urlaubs für Familien mit Kindern im lesefähigen Alter
Von Kaija Kutter
Der kleine Hafen liegt malerisch unterhalb der Burgruine von Lutzelbourg. Am Kai liegen hübsche, schneeweiße Boote, so, wie wir sie Monate zuvor im Katalog ewig betrachtet hatten, bevor wir uns für die Buchung entschieden. Nur ein Boot sieht vergilbt aus und hat statt des weißen einen schwarzen Rumpf. Hoffentlich ist das nicht unseres, denke ich.
Im Büro der Vermietungsfirma können wir bestellte Lebensmittel für eine Woche abholen, müssten einige Papiere ausfüllen, und dann erhält mein Mann den Schlüssel. Ein Mitarbeiter geht mit uns zu unserer schwimmenden Bleibe. Gott sei Dank gehen wir an dem alten Kahn vorbei. Den beziehen andere Urlauber. Aber ganz am Ende des Kais liegt noch ein Schwesterschiff. Das hat einen unaussprechlichen Namen und sieht so aus wie aus einem Film noir. Egal. Die Gondrexange ist unser Zeichen von Understatement.
In der ersten Nacht schlafen wir an Bord im Hafen. Das Boot ist laut Katalog für sieben Personen gedacht, mit der Einschränkung „komfortabel für 4-5“. So ist es denn auch. Die Doppelkojen sind eng. Zu viert haben wir gut Platz, wobei die Küchensitzecke nachts zum Schlafplatz umgebaut wird.
Nach einem Frühstück mit französischem Baguette gibt es keine Ausrede mehr: Wir müssen losfahren. Mein Mann, als Ruderer Wassersport erfahren, geht ans Steuer. Er kipp einen simplen Schalter und der Motor tuckert los. Die Kunst ist, beim Ausrangieren keine anderen Boote zu rammen. Ich mache lieber die Augen zu.
Später traue ich mich auch selbst ans Steuer. Es fühlt sich an, als würde man eine große Badewanne durchs Wasser dirigieren. Wir fahren auf dem „Canal de la Marne au Rhin“ in Richtung Westen. Diese Wasserstraße zwischen Marne und Rhein war vor über 150 Jahren zeitgleich mit der ersten Bahnstrecke Paris-Strasbourg fertig geworden. Seit den 1970er Jahren dient sie hauptsächlich Touristen, also Leuten wie uns.
So ein Hausboot-Trip schien uns genau das Richtige für uns und unsere Teenager-Kinder, sozusagen die Kür des Familien-Aktiv-Urlaubs: Man ist an der frischen Luft, sieht schöne Landschaften und hat zugleich etwas zu tun. Schleusen durchfahren hauptsächlich. Um die Höhenunterschiede zu überbrücken, gibt es in diesem Kanal 178 davon.
Schon nach wenigen Fahrminuten kommt die erste. Beide Teenager müssen an Deck und helfen. Einer muss mit dem Peekhaken darauf achten, dass das Boot nicht an der Schleusenwand scheuert, ein anderer das Seil um einen Poller am Schleusenufer schlingen, das lose gehalten und leicht gezogen werden muss, während das Wasser in der Schleusenkammer steigt. Alle Handgriffe müssen wohl überlegt sein. Machte man die Leine einfach nur am Poller mit einem Knoten fest, würde sie mit aufsteigendem Wasser immer länger und bei absteigendem Wasser viel zu kurz. Die Folgen wären ungünstig.
Die Fahrt durch die Landschaft ist wunderschön, der Blick auf Wiesen, Dörfer und Wälder aus der etwas tiefer gelegenen Froschperspektive erhaben. Es ist faszinierend wie viel Aufwand für diese heute so unauffällige Wasserstraße getrieben wurde. Hier fuhren einst „Péniches“, kleine mit Kohle beladene Frachtschiffe mit breitem, plattem Bug, deren Größe für den Kanal berechnet war. Doch die wirtschaftliche Bedeutung blieb stets hinter den Erwartungen von 1853 zurück, ist zu lesen. Die Eisenbahn war schneller und günstiger.
Ein Blick auf die Karte verdeutlicht das. Bei dem Dorf St. Louis lagen früher auf einer Strecke von nicht mal vier Kilometern 17 Schleusen. Seit 1969 gibt es dort deshalb einen richtigen Fahrstuhl, das Schiffshebewerk von Arzviller. Ein erster Höhepunkt unserer Reise.
Nach einer halben Stunde Wartezeit fahren wir in einen wassergefüllten Trog, der unser Boot auf einer schrägen Ebene 44,55 Meter in die Höhe hebt. Bald danach führt der Kanal durch einen 2,3 Kilometer langen Tunnel. Der Reisefüher mahnt zur Vorsicht. „Lassen Sie nur Crewmitglieder an Deck, die bei der Durchfahrt helfen“. Nur die kleine Schiffslampe beleuchtet die alten Mauern, wir fühlen uns wie bei Jules Vernes Fahrt zum Mittelpunkt der Erde.
Anhalten und übernachten kann man im Prinzip überall. Zum Festmachen gibt es große Eisennägel, die in den Boden gehauen werden müssen. Unser erster Stopp ist sehr idyllisch hinter dem Örtchen „Gondrexange“ gelegen. Unser Boot ist also nach Hause gekommen. Hier gibt es einen Laden, zu dem man mit dem eigens mitgeführten Fahrrad fährt. Außerdem liegt hinter einem Deich ein großer See, der Wasser für die Kanäle speichert, im dem wir laut Karte auch baden können. Im Kanal selbst lassen wir das lieber bleiben, weil es doch recht viele Boote gibt. Und weil zumindest bei unserem die Toilette direkt ins Wasser abpumpt.
Daran müssen wir auch am nächsten Morgen denken: Zwei Nägel fallen ins Wasser. Der Kanal hat am Rand zwar nur Stehtiefe, doch es erfordert von unserem Kapitän einige Überwindung, diese wichtigen Utensilien mit der bloßen Hand vom brackigen Boden aufzufischen. Dann will der Motor nicht starten. Die Batterie ist zu schwach. Nach dem Ausschalten des Kühlschranks geht es dann doch. Die nächsten Nächte bleibt der Kühlschrank aus. Schlecht für die Milch, aber so kriegen wir die Sache in den Griff.
Allmählich schleicht sich Routine ein. Bei den nächsten Schleusen steht nur noch einer mit Seil und Peekhaken an Deck, die anderen bleiben liegen. Für jüngere Kinder würde so ein Urlaub vielleicht sogar bald zu langweilig. Aber wir hatten „Gone“ von Michael Grant dabei. Und noch andere Bücher. Im Grunde wird es für alle vier ein fauler Leseurlaub mit fantastischem Landschaftsblick. Auf dem flachen Deck gibt es genug Leseplätze, manchmal lässt sich ein Kind auch im Schlauchboot ziehen. Nur darf man im leeren Gummiboot kein Buch liegen lassen. Als ein plötzlicher Windstoß beides ins Wasser fegt, saugt sich das Papier des Jugend-Bestsellers schnell mit Wasser voll. Niemand möchte hinterher springen. „Gone“ sinkt in die Tiefe und ist – gone.
Wir biegen ab auf den Saar-Kohle-Kanal, weil es im Städtchen Mittersheim die nächste Schwimmstelle gibt. Langsam wird es voll. Über eine Stunde fährt eine protzige weiße Jacht vor uns her. Im Hafen von Mittersheim scheint es Scharen von diesen auf Luxus getrimmten Hausbooten zu geben, die andere Reeder vermieten. Es gibt sogar welche mit Pool an Bord.
Auf der Rückfahrt merken wir, dass es uns leichtfällt, die neuen Boote zu überholen. Um die Ufer zu schonen, hörten wir, haben sie offenbar eine Geschwindigkeitsbremse eingebaut. Unser gutes Boot, das uns den Rest der Fahrt nicht mehr im Stich lassen wird, hat solche technischen Finessen nicht.
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