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Die FußballfansHier der großspurige Klub aus dem Westen, dort der familiäre Underdog aus Köpenick: So sieht man Hertha und Union. Zwei Vereine, die nicht zueinander passen. Wieso das so ist, müssen die Fans am besten wissen. In einem Streitgespräch klären der Herthaner Daniel Rimkus, Autor des Fansongs „Immer dabei“, und Unioner Dirk Loeffler, Autor des Fansongs „Eisernet Lied“, die Verhältnisse„Früher gab es sogar Freundschaft zwischen Hertha und Union“

Interview Alina SchwermerFotos Karsten Thielker

taz: Herr Rimkus, Herr Loeffler, was bedeutet Ihnen Fußball?

Daniel Rimkus: Fußball ist für mich die Emotionsspritze am Wochenende. Ich denke dabei an viele tolle Diskussionen mit Menschen aus aller Welt. Man lernt Städte kennen, in die man sonst nie käme. Und irgendwie gibt einem der Verein auch Konstanz im Leben. Vieles verändert sich, Freunde gehen, neue Freunde kommen, aber Hertha bleibt immer irgendwie da.

Dirk Loeffler: Fußball ist spannend, emotional, einfach nur geil. Und Union ist so unglaublich viel mehr als nur Fußball. Freunde treffen, sich gemeinsam die Kehle aus dem Leib schreien, miteinander trauern oder sogar weinen. Sich gegenseitig zu unterstützen, auch, wenn es mal nicht um Fußball geht. Dieses Wir-Gefühl will ich niemals im Leben missen.

Bestand je die Möglichkeit, dass Sie Fan des jeweils anderen Klubs geworden wären?

Rimkus: Ich bin in Moabit aufgewachsen, da wäre Union viel zu weit weg gewesen. Es kam kein anderer Verein als Hertha infrage. Seinen Klub sucht man sich ja nicht aus, der ist halt irgendwie da.

Im Sinne des berühmten Spruchs von Nick Hornby in seinem Fußballroman „Fever Pitch“: „Du suchst dir deinen Verein nicht aus, er wird dir gegeben“?

Rimkus: Es passiert einfach. Wenn ich mir heute bewusst einen Verein aussuchen würde, bin ich nicht sicher, ob ich mir Hertha ausgesucht hätte.

Warum nicht?

Rimkus: Das Management von Hertha hat viele Fehler gemacht. Ich kann mich nicht zu hundert Prozent mit dem Management und den Spielern identifizieren. Aber muss man das?

Loeffler: Bei mir war das ein bisschen anders. Die Schule spaltete sich auf in zwei Lager: den Verein, den ich nicht nennen möchte (Gemeint ist der BFC Dynamo mit seinem Image als Stasi-Klub. Anm. d. Red.), und unseren 1. FC Wundervoll. Und da ich immer ein bisschen anders sein wollte und die arroganten Fans von dem anderen Verein nicht leiden konnte, war klar für mich: Ich geh zu Union. Also eine bewusste Entscheidung.

Durch die Teilung der Stadt ist die Rivalität zwischen dem „Westklub“ Hertha und dem „Ostklub“ Union, anders als bei vielen Stadtrivalen, noch ziemlich frisch.

Daniel Rimkus und Dirk Loeffler

Der Herthaner: Daniel Rimkus, Jahrgang 1984, ist aus Moabit. Er geht ins Olympiastadion, seit ihn sein Vater im Alter von acht oder neun Jahren mitnahm. Daniel Rimkus hat die Hertha-Hymne „Immer dabei (Hertha und Schulle)“ geschrieben. Kernsatz: „Ich brauch Hertha, ’ne Schulle, mein Berlin und die Spree“. Bei den Hertha-Spielen ist es im Stadion zu hören. Im Pokal steht Hertha im Halbfinale und in der Liga vor dem Spiel am Samstag in Stuttgart auf einem erstaunlichen 3. Platz.

Der Unioner: Dirk Loeffler, Jahrgang 1966, ist in Schöneweide aufgewachsen. Weil sein Vater ihn nur zum BFC Dynamo mitnahm, entdeckte er Union erst mit Freunden für sich. Seit 1974 Union-Fan, ist er bei fast jedem Spiel im Union-Stadion An der Alten Försterei dabei, also auch am Sonntag, wenn Union um 13.30 Uhr im Zweitligaspiel gegen 1860 München antritt. 2013 heiratete er im Stadion. Loeffler hat die Hymne „Eisernet Lied“ geschrieben, hier heißt es: „Union Berlin, dit is Spreesand im falschen Jetriebe / Keen blinder Hass, aber Eiserne Liebe.“

Die Studie: Die Fußballstudie der TU Braunschweig untersucht jährlich die Markenlandschaft der Bundesliga. In der Studie von 2015 finden die Teilnehmer Union deutlich sympathischer als Hertha. Beliebtester Verein in Deutschland ist Borussia Dortmund. In Sachen Bekanntheit führt der FC Bayern, der aber weniger beliebt ist als Underdogs wie Freiburg und Mainz. Beliebt sind laut Studie häufig Vereine, die ein klares Image mit unverwechselbaren Werten schaffen, sich gegenüber anderen Klubs abgrenzen – und die sportlich erfolgreich sind.

Rimkus: Früher gab es ja sogar noch eine Art Freundschaft zwischen Hertha und Union. Ich glaube, die Auseinandersetzung ist erst dadurch gekommen, weil wir abgestiegen sind und in der Saison 2010/2011 plötzlich in einer Liga waren.

Loeffler: Da war es plötzlich vorbei mit der Freundschaft. Das fand ich auch ein bisschen komisch, aber stellenweise gibt es ja heute noch Sympathien füreinander.

Rimkus: Ja, bei den älteren Herrschaften.

Loeffler: Bei den Älteren so wie ich, sag’s doch. (lacht)

Rimkus: Das ist das Traurige bei Hertha, dass es keine richtigen Derbys gibt. Vielleicht hat man auch ein bisschen Sehnsucht danach gehabt. Da kam Union gerade recht.

Loeffler: Dann müsst ihr wieder absteigen, dann haben wir wieder eins.

Rimkus: Also einmal zweite Liga war ja ganz cool, aber das zweite Mal war dann schon ätzend.

Und dann hat Union 2011 gleich im Olympiastadion mit 2:1 gewonnen.

Rimkus: Das war dann so typisch: Der kleinere Verein besiegt den Großen. Neutral betrachtet war das schon ein geiles Spiel.

Wie sehr lebt Union von der Underdog-Rolle?

Loeffler: Wir fühlen uns schon ganz wohl in der Rolle.

„Erste Liga macht mehr Spaß. Ich bin neben Hertha-Fan auch Fußball-Fan“

Daniel Rimkus über die Schönheit des Spiels

Rimkus: Vom Image her ist das prägend bei Union. Sie grenzen sich ab, der kleine Ostverein gegen den großen bösen Westen.

Loeffler: Finde ich nicht.

Rimkus: Auf mich wirkt es so. Union versucht, das Sankt Pauli von Berlin zu sein. Das sind sie einfach nicht. Köpenick ist für mich am Arsch der Welt. Und vom Alexanderplatz ist man schneller am Olympiastadion als am Union-Stadion an der Alten Försterei.

Loeffler: Aber wir haben ein richtiges Zuhause. Hertha hat ja gar keins.

Rimkus: Berlin ist unsere Heimat. Aber es stimmt schon, dass es im Gegensatz zu Union nicht diese ortsfeste Heimat gibt. (Das Stadion von Hertha wird von der Olympiastadion Berlin GmbH betrieben mit dem Land Berlin als Gesellschafter; bei Union gehört das Stadion dem Verein und den Fans. Anm. d. Red.)

Ein bisschen neidisch auf die Alte Försterei?

Rimkus: Vielleicht. Das mit dem Olympiastadion ist so eine Hassliebe.

Wenn Sie mit Union tauschen könnten: Würden Sie dafür die Platzierung von Union in Kauf nehmen, wenn Sie dafür in der Alten Försterei spielen könnten?

Rimkus: Ich glaube, dafür wäre die Alte Försterei dann doch zu klein. Wir sind ja schon eher als der Hauptstadtverein definiert, nicht so abgrenzend.

Loeffler: Womit grenzen wir uns denn ab?

Rimkus: Allein schon diese Zeile in eurem Vereinssong: „Wir lassen uns nicht vom Westen kaufen“.

Loeffler: Das ist kein Abgrenzen, das sind nur klare Ansagen.

In Ihrem Song, Herr Rimkus, grenzt man sich eher mit Biermarken voneinander ab: Der Herthaner trinkt Schulle, also Schultheiss, der Fußball-Hipster bei Union Astra.

Rimkus: Das mit dem Astra bezog sich eher auf Sankt Pauli. Man muss Vereine auch nicht so klischeehaft sehen. Aber ich kenne viele Zugezogene, die nach Berlin kommen und zu Union tendieren, weil das ja dieser kleine, coole, kultige, andersartige Verein ist.

Loeffler: Alles richtig.

Rimkus: Das ist für mich so typisch! Che-Guevara-Shirt, Sankt-Pauli-Shirt und jetzt kommt noch das Union-Shirt dazu.

Loeffler: Ich habe einen Kumpel, der ist Hertha-Fan. Der ist ein herzensguter Mensch, der kommt mit in die Alte Försterei, der kennt jeden Song von uns, und der schreit mit einer Inbrunst mit, das find ich klasse. Ich tue mir schwer, zum Hertha-Spiel zu gehen und mitzusingen. Ich kenne auch die Songs nicht.

Rimkus: Hertha ist sicher nicht so anfassbar. Das Image ist ein bisschen schwammiger. Aber ich glaube, das ist immer das Schicksal der größeren Vereine

Borussia Dortmund etwa ist nicht gerade schwammig.

Dirk Loeffler über die Leidenschaft Fußball ist einfach nur geil. Und Union ist so viel mehr als nur Fußball. Freunde treffen, sich gemeinsam die Kehle aus dem Leib schreien, miteinander trauern oder sogar weinen

Rimkus: Das ist Ruhrpott, das ist nochmal was anderes. Berlin ist keine Fußballstadt. Aber es stimmt schon, Hertha hat kein richtiges Image. Vielleicht wurden da auch Fehler gemacht. Andererseits finde ich es auch cool, dass wir einfach der Hauptstadtverein sind.

Loeffler: Das mit dem Hauptstadtverein finde ich immer schräg. Es gibt hier ja viele Vereine, nicht nur Union und Hertha. Das kommt arrogant rüber. Und genauso erlebe ich Hertha.

Rimkus: Wir wollen ja auch ein bisschen arrogant sein.

Loeffler: Das finde ich ziemlich bäh.

Rimkus: Genau das ist für mich Berlin: große Klappe mit einem netten Herz.

Loeffler: Große Klappe können wir auch.

Rimkus: Aber Ihr seid dabei immer noch der Underdog. Wir sagen: Brust raus, wir sind Berlin.

Loeffler: Sag ich doch: arrogant.

Wir haben die Idee zu dem Gespräch auch durch eine Studie zur Beliebtheit von Fußballvereinen bekommen. Schätzen Sie doch mal, wie Hertha und Union abschneiden.

Rimkus: Hertha wahrscheinlich nicht so besonders. Nummer eins ist wahrscheinlich Dortmund?

Bingo. Hertha ist auf Platz 30, Union auf Platz 8.

Rimkus: Genau das finde ich gut. Dass Hertha nicht so der Verein ist, den alle auswählen. Und er ist relativ offen. Ich kann auch mit einem Kumpel, der kein Hertha-Fan ist, ins Stadion gehen. Bei Union ist das nicht möglich.

Loeffler: Natürlich. Ich bin so oft mit anderen Fans da gewesen, das war gar kein Problem.

Rimkus: Ich habe das anders empfunden. Wenn du beim Derby im Union-Shirt ins Olympiastadion kamst, wurdest du geneckt. In der Alten Försterei fand ich die Stimmung sehr aggressiv.

Loeffler: Das kann ich nicht bestätigen. Aber Idioten gibt es überall, auch bei uns.

Wie war’s für Sie als Unioner im Olympiastadion?

Loeffler: Was mir bei Hertha sauer aufgestoßen ist, war, dass die Gästefans vom Stadionsprecher überhaupt nicht begrüßt wurden. Bei Union werden die Gäste immer begrüßt. Und bei euch wird jeder Eckball vom Autohaus oder von der Sparkasse präsentiert, das fand ich sehr schräg. Ihr habt sogar einen Tor-Song. Dieses Hertha-Tralala.

Rimkus: Das finde ich schon wieder lustig.

Loeffler: Die Musik bei euch ist grottig.

Rimkus: Ja, das stimmt teilweise. Bei Union ist die Musik rockiger.

Loeffler: Im Olympiastadion ist auch diese blaue Bahn zwischen Publikum und Spielfeld, da braucht man einen Feldstecher, um die Spieler zu erkennen. Außerdem haben wir die schöneren Frauen. (lacht)

Rimkus: Im Olympiastadion hat sich das aber auch krass geändert. Die Ostkurve ist so weiblich geworden, viele auch mit Migrationshintergrund. Ich finde es sehr positiv, wie sich das entwickelt hat. Mit dem Begrüßen der Gästefans, das stimmt nicht.

Loeffler: Beim Spiel gegen Union war es so.

Rimkus: Vielleicht. Ansonsten werden die Gästefans immer begrüßt. Die Reklame, das stimmt, das nervt jeden.

Loeffler: Bei Union gibt’s das nicht.

Rimkus: Ja, da versuchen sie wieder, sich abzugrenzen. Das Sankt Pauli von Berlin. In den Fanshops sind auch immer Union-Schal und Pauli-Schal nebeneinander. Da steckt Marketing dahinter.

Sie spielen darauf an, dass die Fanartikel von Union und Sankt Pauli zeitweise durch das gleiche Unternehmen vertrieben wurden und Sankt Pauli sogar kurzzeitig an Union-Artikeln verdient hat?

Rimkus: Ja, und das ist scheinheiliges Anti-Marketing. Ihr gebt euch antikommerziell, aber in Wirklichkeit laufen dieselben Mechanismen ab wie in jedem Verein. Es ist Fußball, da werden Millionen hin- und hergeschoben.

Loeffler: Bei uns nicht. Das sind keine Millionen. (lacht)

Rimkus: Wenn man sich näher damit beschäftigt, ist es eine perverse Sportart. Da nimmt man irgendwann eine Egal-Haltung ein. Die Spieler zum Beispiel sind mir mittlerweile komplett egal.

Loeffler: Aber die Spieler sind doch diejenigen, die dir die Freude ins Gesicht schreiben.

Rimkus: Für mich nicht. Du gehst mit deinen Freunden ins Stadion, darum geht’s. Und du bist für die blau-weiße Mannschaft.

Loeffler: Da kannste auch zu Schalke gehen. Die sind auch blau-weiß. Oder Hoffenheim.

Rimkus: Mann, die mit der Fahne auf der Brust. Spieler kommen und gehen.

Loeffler: Ich will mal ein kleines Beispiel erzählen. Ihr habt ja vielleicht mitbekommen, dass der Benny Köhler Krebs hatte. Und da gab es diese Aktion beim Spiel gegen Bochum. (Das Spiel wird in der siebten Minute unterbrochen, in Anlehnung an Köhlers Nummer 7, und die Union-Spieler tragen seine Nummer und einen Banner mit der Aufschrift „Eisern bleiben, Benny“. Anm. d. Red.). Das sind Sachen, wo ich denke: Alter, das ist ja so famos. Da hatte ich Gänsehaut. Als ich auf den Rängen stand, hab ich geheult. Ich hab wirklich geheult. Und da sagst du mir, die Spieler sind nicht wichtig? Verdammt nochmal, die sind superwichtig.

Rimkus: Spieler sind mir wirklich ziemlich egal.

Loeffler: Ist dir auch egal, wo die spielen? Dritte Liga, zweite Liga?

Rimkus: Nee, erste Liga macht mehr Spaß. Ich bin neben Hertha-Fan auch Fußball-Fan. Ich kenne keine Sportart, wo es solche Wendungen gibt und der Underdog solche Chancen hat, zu punkten.

Jetzt mögen Sie doch den Underdog?

Rimkus: Hertha ist auch oft genug Underdog. Vielleicht nicht gerade in diesem Jahr. Der Erfolg trägt schon dazu bei, dass Hertha positiver gesehen wird. Erfolg sorgt eigentlich immer dafür, dass ein Verein ein besseres Image hat.

Union hat das auch ohne große Erfolge.

Rimkus: Ja, das ist dann vielleicht das Besondere an Union.

Sie haben erzählt, dass die Rivalität zwischen den beiden Vereinen erst mit dem Hertha-Abstieg kam. Was muss passieren, damit aus der Rivalität eine Tradition wird?

Rimkus: Dass Union in die erste Liga kommt und sich da etabliert. Ich glaube, in den nächsten fünf Jahren steigt Union auf. Das würde eine Derby-Stimmung verursachen und täte auch Hertha gut. Dann würde mehr über Fußball geredet, das fehlt Berlin.

Wäre Berlin ohne Mauerbau eher eine Fußballstadt geworden?

Loeffler: Aber wenn es den ganzen Mauerbau nicht gegeben hätte, gäbe es dann überhaupt Union? Das bereitet mir ein bisschen Kopfzerbrechen.

Rimkus: Ich glaube schon, dass Berlin dann eher eine Fußballstadt geworden wäre. Aber das ist reine Spekulation. Hertha hätte es jedenfalls einfacher gehabt, wenn der Verein in seiner alten Heimat Wedding geblieben wäre. Dann würde man uns eher als Arbeiterverein betrachten und wir hätten ein ähnliches Image wie Union.

Loeffler: Jetzt bist du doch ein bisschen neidisch.

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