Hämmern und forschen

VIDEOKUNST Im Neuen Berliner Kunstverein sind Anja Kirschner und David Panos dem Ursprung der Geldwirtschaft auf der Spur

„Was ändert sich in der Geschichte?“, fragt die Stimme der Lehrerin aus dem Off, und die jungen Stimmen, die eben noch so lebhaft und klug erläuterten, wie Geschichte aus der Interpretation von Materialien und Erzählungen und Fragen entsteht, sind plötzlich stumm, die Leinwand bleibt schwarz. „Sie denkt nach“, flüstert eine Stimme (in Griechisch, englisch untertitelt) und sekundenkurz sieht man in nachdenkliche, junge Gesichter.

Die sympathische griechische Schulklasse ist einer der akustischen und visuellen Schauplätze aus der Videoarbeit „Ultimate Substance“, die im Neuen Berliner Kunstverein zu sehen ist. Anja Kirschner, 1977 in München geboren, und David Panos, 1971 in Athen geboren, haben sie zusammen entwickelt. Es sind oft sinnliche und auch rätselhafte Bilder, die sie in einem sehr kurzen Schnittrhythmus aneinandersetzen, akzentuiert von harten Geräuschen.

Erst allmählich erkennt man die Schläge als Hämmern auf Stein, die Arbeit in einem dunklen Bergwerk. Steinig ist die Landschaft, die immer wieder auftaucht. Steinig, trocken und heiß. Manchmal sieht man Eingänge zu Höhlen. Unbekleidete Menschen tragen Körbe voller Steine, Nackte hämmern im Dunkeln, kurz leuchtet ein Körperteil wie im Feuerschein auf, ein Arm, schweißnasses Brusthaar. Später fährt die Kamera an Vitrinen voller Münzen entlang, verziert mit Trauben, Ähren, gehörnten Böcken. Es war schön, das antike Geld, und bildreich.

Seht diese Muskeln

Im Bergwerkgebiet von Lavreotiki, 60 Kilometer von Athen entfernt, sind die Aufnahmen entstanden. Hier wurde, das kann man in einem Text der Kuratoren auf der Website des Kunstvereins nachlesen, Silber schon vor mehr als zwei Jahrtausenden abgebaut, als der Stadtstaat Athen gegründet wurde.

Eine Performancegruppe bewegt sich zwischen den Steinen. Was dabei entsteht, ist weit entfernt von der Doku-Fiction, die vergangene Zeiten illustrativ ausmalen will – und doch geht es auch hier um den Versuch, einen sinnlich fassbaren Bogen in die Vergangenheit zu schlagen, Fleisch und Stein zu konfrontieren und die Vorstellungskraft an die Arbeit zu schicken.

Seht diese Muskeln, brauchte man das nicht, als Menschen zum ersten Mal das Erz aus dem Berg holten? Und das jetzt, dieses Gruppenbild erregter Körper, voller Bewegung, ist das erotische Ekstase? Ein dionysisches Ritual? Oder doch ein gewaltsamer Zugriff? Und verweisen die Linien, die geometrische Gebilde auf die schwarze Leinwand zeichnen, auf das mathematische Wissen der Antike?

Mit vielen Fragezeichen

Tatsächlich ist jede der gedanklichen Linien, die man beim Schauen und Hören knüpft, mit vielen Fragezeichen versehen. Archäologie und Philosophie, der Beginn der Demokratie und der Geldwirtschaft, Mathematik und Tanz – aus all diesen Quellen schöpft das Video zwar, ohne die Sphären aber, und das ist dann auch ein wenig enttäuschend, argumentativ zu durchdringen.

Ohne unterstützende Texte hier und da (Website, Begleitpublikation) bliebe bei dem erstmals in Deutschland präsentierten, halbstündigen Videofilm die Logik der Verknüpfungen von Schauplatz und Geschichte, Artefakten und Stimmen noch etwas kryptischer. Trotzdem hat die Arbeit Anziehungskraft, und die liegt in der Koordination von Akustik und Kamerabewegung. Mit fast jedem Hammerschlag springt das Bild weg, ein Reißschwenk, ein Blank, ein harter Schnitt. Ein industrieller Rhythmus hält den Anschein des Idyllischen und Archaischen wie in einer Schraubzwinge fest.

Etwas von der physischen Arbeit an der Herstellung des Geldes wirkt stärker als alle daran geknüpften Tauschaktionen. Das ist das eigentlich Verblüffende.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Ultimate Substance“. Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128, Di.–So. 12–18 Uhr, bis 27. Januar. Zur Ausstellung gibt es am 26./27. Januar Diskussionen und Workshops, Programm: www.nbk.org