piwik no script img

Wiedervereinigung in Korea

Wörterbuch Linguisten in beiden Teilen Koreas arbeiten an einem gemeinsamen Wörterbuch. Nach Jahrzehnten der Trennung haben sie nicht nur sprachliche, sondern auch ideologische Hürden zu überwinden

von Fabian Kretschmer

Die beiden Koreas trennt nicht nur eine militärisch hochgerüstete Landesgrenze, sondern auch ihre gemeinsame Sprache. Niemand erkannte die Tragweite der linguistischen Entzweiung scharfsinniger als Moon Ik Hwan. Der Theologe half einst maßgeblich bei der Übersetzung des Alten Testaments ins Koreanische. Als der 71-Jährige jedoch im März 1989 in einer Sondermaschine von Peking nach Pjöngjang fliegt, führt er statt einer Bibel ein ganz gewöhnliches Wörterbuch bei sich – als Geschenk an den damaligen Staatschef Kim Il Sung.

Der südkoreanische Pastor trägt eine so simple wie geniale Idee an den nordkoreanischen Staatsgründer heran: Wenn sich die beiden verfeindeten Länder sprachlich annähern, ebnete dies den Weg zu einer Wiedervereinigung. Der Ausgangspunkt für das innerkoreanisches Wörterbuch liest sich wie eine Utopie. Wenig später droht sie an der Paranoia des Kalten Kriegs zu zerschellen: Zurück im Süden wird Moon Ik Hwan für seine illegale Einreise beim kommunistischen Nachbarn weggesperrt. Kurz nach seiner Freilassung nimmt der Pastor seinen Traum mit ins Grab. Mehr als 20 Jahre später sitzt Kim Wan Seo im 12. Stock eines Seouler Büroturms, eingeengt zwischen grauen Trennwänden und mannshohen Bücherschränken, und erzählt begeistert von den Vorbereitungen für seine nächste Arbeitsreise nach Nordkorea. Für den Linguisten ist es bereits die 25. „Vor der Teilung Koreas gab es im Grunde kein Problem zur Verständigung – trotz der regionalen Dialekte“, sagt Kim. Wenn man jedoch heutzutage die Wörterbücher der beiden Länder vergleiche, würden sich bis zu 50 Prozent der Einträge unterscheiden.

Vor rund sieben Jahren hat ein südkoreanisches Forscherteam rund um Kim Wan Seo grünes Licht bekommen, die sprachlichen Differenzen in einer gemeinsamen Enzyklopädie auszumerzen: das „vereinigte koreanische Wörterbuch“. 230.000 Wörter aus Nord- und Südkorea soll es beinhalten und noch mal 100.000 Wörter für die Exilkoreaner, die vor allem im Nordosten Chinas, Russland und Zentral­asien leben. Bis 2019 müssen Kim und seine Mitstreiter fertig sein. Dann laufen die staatlichen Fördergelder aus. Das halbe Wörterbuch haben sie schon fertig. In beiden Koreas soll es erhältlich sein.

Lange Zeit war das undenkbar: Der Kalte Krieg der achtziger Jahre wich um die Jahrtausendwende einer Sonnenscheinpolitik der Annäherung, und die jetzige Präsidentin Park Geun Hye sucht in ihrer Ausrichtung gen Norden einen pragmatischen Mittelweg. In der Sprache muss die goldene Mitte zwischen den beiden Koreas jedoch erst noch gefunden werden.

Die fast 28.000 nordkoreanischen Flüchtlinge, die im Süden eine neue Heimat gefunden haben, kennen das aus eigener Erfahrung: Sie wollen in „Lebensmittelläden“ einkaufen, wo doch ihre südlichen Nachbarn nur mehr Supermärkte kennen. Sie telefonieren mit „Handtelefonen“ statt mit Smartphones. Und weil es im totalitären Regime Kim Jong Uns weder Schwule noch Lesben geben darf, haben einige von ihnen auch das Wort „Homosexualität“ erst südlich der Demarkationslinie aufgeschnappt. Dass sich die beiden Bevölkerungen immer fremder werden, hat nicht zuletzt auch sprachliche Gründe.

Wir Deutschen kennen dieses Gefühl noch von der Wendezeit. Zumindest in Ansätzen: In Nordkorea wird natürlich kein „Südfernsehen“ übertragen, weder Briefkontakte noch Telefonate sind erlaubt, und die Demarkationslinie steht nun bereits mehr als doppelt so lange, wie die Berliner Mauer gestanden hat. Am deutlichsten erkennt man die linguistischen Unterschiede beim Umgang mit Fremdwörtern. „Während in Südkorea englische und chinesische Wörter oft einfach übernommen werden, will das nordkoreanische Regime alles koreanisieren“, sagt Forscher Kim. So wird etwa der südkoreanische „Donut“ nördlich der Demarkationslinie zum Ringbrot, der „penalty kick“ zum Strafstoß und die „handbag“ zur Handtasche.

„Es gibt zwar auch in Südkorea Bemühungen der Regierung, den Gebrauch von Anglizismen einzudämmen, doch oft vergeblich. Das nordkoreanische Regime kann viel mehr Kontrolle ausüben – auch auf den Wortschatz ihrer Bevölkerung“, ergänzt Kim Hak Mook, der das Forschungsteam leitet. Konservative Sprachhüter würden wohl sagen: Im Norden wird ein reinerer Zustand der Sprache bewahrt. Für die Jugend im Süden klingt es schlicht altbacken – und so will im Land der modernsten Smartphones und schnellsten Internetverbindungen nun wirklich niemand bezeichnet werden. Deshalb ist das Erste, das die meisten nordkoreanischen Flüchtlinge in ihrer Wahlheimat übernehmen, der örtliche Dialekt.

Und doch lässt sich in den letzten Jahren auch ein Gegentrend beobachten: Seitdem man auf nordkoreanischen Schwarzmärkten ausländische Filme, Musikalben und Fernsehserien kaufen kann, ist es laut NGOs unter Nordkoreas neuer Mittelschicht „hip“ geworden, gar ein Zeichen von Status, mit einem leicht „südlichen“ Akzent zu sprechen. Die Sprache wird – möglicherweise unbewusst – zum subversiven Statement.

Sisyphus-Arbeit

„In Nordkorea ist die Sprache niemals nur auf Kommunikation ausgelegt, sondern hat vor allem eine ideologische Funktion. Ein Wörterbuch dient dort immer auch der politischen Bildung“, sagt Kim Hak Mook. Das Wort „Kamerad“ etwa bezeichnet in Südkorea lediglich einen engen Freund, in Nordkorea jedoch jemanden, „mit dem man gemeinsam für die Revolution kämpft“. Großgrundbesitzer werden nicht nur an ihrem Besitz definiert, sondern sind unweigerlich „reiche Leute, die das arme Volk ausbeuten“. Für die Forscher entladen sich die ideologischen Barrieren in aufreibenden Diskussionen. Bislang haben sie immer zu einem Minimalkonsens gefunden.

In langen Schichten gehen sie in Zweierteams täglich Hunderte Wörter durch. Eine Sisyphusarbeit, sagen die Linguisten, die jedoch nach all den Jahren auch zusammenschweiße. Das gemeinsame Abschiedsessen vor fünf Jahren sei so ein Highlight gewesen, an das sich jeder wohl sein Leben lang erinnern werde. Zu vorgerückter Stunde habe jemand aus der Runde spontan ein koreanisches Volkslied angestimmt, eine Ballade voll Trauer und Hoffnung, und wenig später tanzten Dutzende Linguisten aus Süd- und Nordkorea gemeinsam eine Polonaise. „Bis zum nächsten Jahr“, wünschte man sich beim Abschied.

Niemand ahnte damals, dass das Wiedersehen erst fünf Jahre später erfolgen sollte – wegen politischer Spannungen. Wie auch in diesem Jahr. Wegen des Atomtests Anfang Januar hat Südkorea soeben alle innerkoreanischen Projekte auf Eis gelegt. Damit müssen die Forscher leben. Sie wissen nie, wann sie sich wiedersehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen