Digital ist besser

Kiezkino Im Acud geht es wieder aufwärts, auch wegen der neuen Kinotechnik. Dieses Jahr feiert es Premiere als Berlinale-Spielstätte

Gut gepolstert: Im Acud-Kino sitzt mittlerweile auch wieder ein Stammpublikum gern

Text Andreas Hartmann
Fotos Dagmar Morath

Im Foyer des Acud in Mitte liegen überall rote Zuckerbeutelchen aus, auf denen steht: „Welcome To The Berlinale“. Ja, das kleine Acud-Kino ist nun eine Berlinale-Spielstätte. Im Rahmen von „Berlinale goes Kiez“, bei dem es darum geht, das Filmfestival über die ganze Stadt zu verteilen und es nicht bloß auf das Treiben auf den roten Teppichen am Potsdamer Platz zu konzentrieren, darf sich nun das Acud erstmalig dem Berlinale-Publikum präsentieren. „Ja, wir sind stolz darauf, jetzt auch Berlinale-Kino zu sein“, erklärt Dagmar Kuczor, die Betreiberin des Kinos, unumwunden.

Berlinale-Kino wird man nicht so einfach, man wird dazu erwählt. Eine Mitarbeiterin der Berlinale, so erzählt Dagmar Kuczor, habe erst mal incognito ein paar Vorstellungen in ihrem Kino besucht, bevor der Anruf mit der freudigen Botschaft kam. Auch ein Techniker wurde von der Berlinale im Acud vorbeigeschickt, der noch einmal überprüfte, ob das kleine Kino auch wirklich gerüstet ist für die zwei Berlinale-Vorstellungen, in denen das Acud einen Film aus dem Wettbewerb und einen aus der Retrospektive zeigen darf.

Das Acud gehört zu diesen kleinen Berliner Kinos, die so manche Krise durchgemacht haben, die aber seit der Digitalisierung besser dastehen denn je. Dank der Digitalprojektoren können Vorstellungen besser geplant und einfacher durchgeführt werden als früher. Eine einzige Person reicht aus, um Tickets zu verkaufen und gleichzeitig die Filme zu starten. Das Programm kann flexibel gestaltet werden, für ein Kino wie das Acud ein wichtiger Aspekt.

Mit der „Berlinale goes Kiez“-Reihe will das Publikumsfestival Berlinale das Berliner Publikum in „seinen“ Kiezkinos besuchen. Neben dem Acud-Kino in Mitte sind in diesem Jahr dabei das Kreuzberger Babylon, City Kino Wedding, Il Kino in Neukölln, die Neuen Kammerspiele in Kleinmachnow, Toni & Tonino in Weißensee und das Kino Union in Friedrichhagen die Spielstätten.

Insgesamt gibt es bei der Berlinale in diesem Jahr 434 Filme zu begucken. Die 66. Ausgabe der Filmfestspiele startet am Donnerstag, 11. Februar, am 21. Februar ist wieder Schluss.

Der Ticketvorverkauf beginnt am 8. Februar um 10 Uhr. Tickets können jeweils drei Tage im Voraus erworben werden, für die Wettbewerbswiederholungen vier Tage im Voraus. Am Tage der Vorstellung sind Karten nur an den Tageskassen der Kinos und unter www.berlinale.de – wo man auch sonst alles Wesentliche zum Festival erfährt – erhältlich.

Im Standort Mitte spürt es vor allem die mächtige Konkurrenz der Kinos in den Hackeschen Höfen, die, so Kuczor, von den Verleihen bevorzugt behandelt werden. Filme, die dort anlaufen, bekomme sie im Normalfall nicht, sagt sie, dann kümmere sie sich einfach schnell um solche, die dort nicht zu sehen sind, oder sie zeige einen Streifen, der in den Arthouse-Kinos in der unmittelbaren Nachbarschaft mit Untertiteln gezeigt wird, eben in der Synchronfassung. Eine Spezialität des Hauses seien zudem Dokumentarfilme, und um diese werde in der Kinobranche sowieso nicht so sehr geschachert. Gerade lässt die Kinobetreiberin außerdem Glasfaserkabel verlegen, damit werde alles noch unkomplizierter mit den Filmen. Dann müsse sie sich nicht mal mehr Festplatten für die Projektoren schicken lassen, sondern Letztere werden dann direkt über das Netz gespeist.

In den letzten Jahren ging es deutlich aufwärts mit ihrem Kino, sagt Dagmar Kuczor ganz deutlich. Sie stehe bei knapp 30.000 Besuchern pro Jahr und habe bislang den vergleichsweise billigen Eintritt bei 6 Euro pro Vorstellung belassen können.

Nur an der Digitalisierung liegt das Hoch aber nicht. Sondern eher daran, dass es gar nicht mehr tiefer gehen konnte. Vor ein paar Jahren nämlich lag das Kino, genau wie das Kunst- und Kulturhaus Acud, zu dem es gehört, noch völlig am Boden. Das Acud war 2010 schlichtweg insolvent, der Tiefpunkt eines Hauses, das in den wild bewegten Nachwendejahren zum Opfer diverser stadtpolitischer Entwicklungen wurde. Aber auch, um es mal ein wenig reißerisch zu formulieren: zum Spielball der deutschen Geschichte.

Bespielt wurde das Haus gleich nach der Wende vom gemeinnützigen Verein Acud e.V.. Dagmar Kuczor holt ein Foto von einer Pinnwand, das das alte Acud zeigt. Eine mit Graffiti zugebombte Bauruine sieht man darauf, kaum vergleichbar mit dem heutigen Acud, das mit all seinen Galerien, Ateliers und Bars nur noch rudimentär den kaputten Charme von früher konserviert hat. Mitte wurde damals zum neuen Trendbezirk, die Grundstückspreise gingen in die Höhe, das Acud wurde auch für Investoren interessant, und Mitte der nuller Jahre meldete sich eine jüdische Erbengemeinschaft, die Anrecht auf das Acud-Grundstück erhob, das ihr im Zuge der sogenanten Arisierung in der Nazizeit entwendet wurde. Eine Stiftung kaufte das Acud dann von der Erbengemeinschaft zurück und verpachtete es weiter an Acud e.V.. Doch dem reichte irgendwann das Geld nicht mehr, sodass er Insolvenz anmelden musste. Das Haus gehört heute einer neuen Mietergemeinschaft, „Acud macht neu“, nur das Kino und das Theater des alten Acud sind nicht Teil dieses neuen Konstrukts.

Alte analoge Spulentechnik zur Erinnerung im Vorführraum

Dagmar Kuczor erzählt von alldem ohne große Verbitterung. Was sie und ihr Kino erlebt haben, ist so ungewöhnlich für Berlin in der Nachwendezeit auch wieder nicht, ein Beispiel für eine ähnliche Geschichte steht gleich in der Nähe: das Tacheles. Und früher war ja auch nicht alles besser. Es gab etwa ein massives Drogenproblem im Acud. Es wurde offen gedealt, auch der eigene Wachschutz sei dagegen machtlos gewesen, erzählt Dagmar Kuczor.

Heute dagegen sei das Acud ein sicherer Ort auch für Kinder und Jugendliche. „Früher“, so berichtet sie, „kamen noch Leute im Kino vorbei, weil es hier einen Ofen gab, und die haben dann gleich ihre Socken zum Trocknen mitgebracht. Aber diese Leute haben alle irgendwann zu Ende studiert, und nun wohnen in der Nachbarschaft eben Familien in ihren teuren Eigentumswohnungen.“ Auf diese neue Klientel hat sich Dagmar Kuczor eingestellt. Täglich läuft in ihrem Kino mindestens ein Kinderfilm, und über die Kinder habe sie auch manche derer Eltern ins Kino gebracht. Die Barriere zwischen ihrem Kino im Hinterhof und den neuen Bewohnern des durchgentrifizerten Mitte-Kiezes sei durchbrochen, es gebe sogar wieder ein Stammpublikum. Nur eben eines, das die Socken daheim trocknet.