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„Ganze Branche lahmlegen“

Gewerkschaften Arbeitgeber versuchen, neue Arbeitskämpfe zu unterbinden, sagt Autor Nowak

Foto: Matthias Loers
Peter Nowak

55, ist freier Journalist und hat das Buch "Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht" herausgegeben.

taz: Herr Nowak, warum wird in Deutschland plötzlich wieder so viel gestreikt?

Peter Nowak: Vielen Leuten, vor allem im Niedriglohnsektor, reicht ihr Einkommen nicht mehr zum Leben. Sie müssen bei der Miete, beim Essen und beim Urlaub sparen. Wenn dann viel über einen Wirtschaftsaufschwung geredet wird, ermutigt das natürlich, für mehr Lohn oder bessere Arbeitsverhältnisse zu streiken.

Warum gründen sich immer mehr kleine Berufsgewerkschaften? Kann der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Leute nicht mehr vertreten?

Seit etwa einem Jahrzehnt sind die klassischen DGB-Gewerkschaften bei den Arbeitnehmern immer weniger präsent. Es gab genug Fälle, in denen sich Unternehmen erfolgreich allen Tarifverträgen widersetzen konnten – trotz vieler Streiks. Einige Berufsgruppen können sich leichter durchsetzen als andere, weil sie ihre ganze Branche lahmlegen können. Deshalb gibt es bei Piloten oder Lokführern die Tendenz, sich selbst zu organisieren. Für Berufsgruppen ohne diese Macht, ist das ein Nachteil.

Welchen Einfluss hat das auf Tarifverhandlungen?

Das Tarifrecht in Deutschland basiert auf dem Nachkriegsmodell einer starken Einheitsgewerkschaft. Das ist heutzutage nicht mehr kompatibel. Die Probleme wurden gerade deutlich, als sich die Lokführergewerkschaft GDL und der DGB um die Tarifverträge bei der Bahn gestritten haben, obwohl sie eigentlich das gleiche Ziel haben.

Inwiefern versuchen Arbeitgeber, die neuen Arbeitskämpfe zu verhindern?

Die Strategie der Arbeitgeber ist, nach dem Streik die wichtigsten Leute der Auseinandersetzungen unter irgendwelchen Vorbehalten zu feuern. Das konnte man zum Beispiel bei der Verpackungsfirma Neupack beobachten. Teilweise bekommen die Mitarbeiter sogar hohe Abfindungen, um sie schnell loszuwerden. Das kommt immer häufiger vor, es gibt sogar schon einen Begriff dafür: „Union Busting“ – und auch Anwälte, die sich darauf spezialisieren.

Kann man diese Arbeitskämpfe als Kritik am Kapitalismus interpretieren?

Beim Streiken verlassen sich heute viele Arbeitnehmer nicht mehr auf den DGB, sondern nehmen die Sache selbst in die Hand. Dadurch entwickelt sich auch ein gewisses politisches Denken, das durchaus kapitalismuskritisch sein kann.

Interview: Johannes Jakobeit

Infoveranstaltung: „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“, 20 Uhr, Rote Flora, Schulterblatt 71, Eintritt frei

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