: Krautrock im Kapuzenpulli
Legende Michael Rother spielt in der Volksbühne Songs seiner Bands Neu!, Harmonia und Solo-Stücke – und genießt einfach das Musikmachen
Michael Rother, man kann das eigentlich gar nicht glauben, geht so langsam auf die 70 zu. Ein alter Kumpel von ihm, auch so eine Krautrocklegende, Dieter Moebius, ist vor Kurzem erst gestorben. Rother aber sieht einfach aus wie das blühende Leben, er erlebt gerade seinen x-ten Frühling, man kann diese Schübe des Interesses an seiner Musik aus eigentlich längst vergangenen Zeiten ja inzwischen gar nicht mehr zählen; und er scheint diese Zustand jetzt einfach mal nur genießen zu wollen. Wie gesagt, der Mann, der in Bands wie Kraftwerk, Neu! oder Harmonia gespielt hat, ist in einem Alter, in dem andere bereits in Rente sind, und er trägt bei seinem Konzert im ziemlich vollen Großen Saal der Berliner Volksbühne einen schwarzen Hoodie, als wäre er 18, und es wirkt kein Stück peinlich.
Bowie und Michael Jackson
Sowieso ist die lässige Art, mit der er einen durch seinen Auftritt führt, bemerkenswert. Der Großteil der Musik, die er gemeinsam mit dem Gitarristen Franz Bargmann und dem Drummer Hans Lampe aufführt, ist in den Siebzigern entstanden. Es ist die Musik besagter Krautrockbands – und Michael Rother begann auch schon, Soloalben zu veröffentlichen. Damals hat die innovative Kraft dieser sphärischen Popmusik außer David Bowie kaum jemand erkannt. Inzwischen jedoch sind Neu! beinahe so berühmt wie Michael Jackson, und nach dem Tod Bowies wurde nochmals überall durchleuchtet, wie wichtig der Kraut für dessen Alben Ende der Siebziger waren.
Rother ist also inzwischen ein Star und könnte sich vielleicht auch endlich mal ein wenig so aufführen. Doch er steht da auf der Bühne, wiegt sich bedächtig zu seinen flirrenden, raumgreifenden Gitarrentönen, die er über die bassartig gespielten Riffs seines zweiten Gitarristen und das in typischer Neu!-Tradition betont monotone Drumming legt. Und das ist eigentlich alles, was er sich an Exaltiertheiten auf der Bühne gönnt. Zwischen den Stücken lächelt er nett, spricht mit ruhiger Stimme, bedankt sich artig – und wirkt dabei ziemlich echt und glaubwürdig. Der Mann ist einfach so. Dabei, und auch das gehört zu seiner langen und erstaunlichen Karriere, war er mal kurz bei Kraftwerk mit dabei, dem künstlichsten Pop-Projekt des Planeten.
Kenner des Rother’schen Œvres können natürlich genau differenzieren zwischen dessen eher ambientösen Entrücktheiten mit Harmonia und der doch eher treibenden, sogenannten Motorik, mit der Neu! berühmt wurden. Live auf der Bühne, ungefähr 40 Jahre nach Entstehung dieser Musik, werden die Unterschiede der Bands jedoch eher verwässert. Sodass am Ende ein Rother-Sound entsteht, bei dem man nicht mehr ganz genau sagen kann, welche Stücke nun welchen Bandprojekten zuzuordnen sind.
Streckenweise klingt die Michael-Rother-Band gar wie Sonic Youth, was deutlich macht, dass Rother nur auf Retro auch keine Lust hat. Am Ende, als Zugabe, wird noch „Flammende Herzen“ gespielt, eine Art Hit von Rother, den er Ende der Siebziger hatte. Wie Rother hier kitschtriefende, herzerwärmende Gitarrenfiguren über das stumpfe Klanggerüst seiner Begleitmusiker schraubt, das ist ganz großes Gefühlskino. Da weht plötzlich ein Hauch von „Dirty Dancing“ durch die Volksbühne. Michael Rother weiß das auch und lächelt vielleicht ein wenig mehr als sonst am Ende des Stücks. Andreas Hartmann
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