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Das Mädchen und seine Puppen

OPERNPREMIERE Claus Guth hat an der Deutschen Oper Berlin „Salome“ von Richard Strauss inszeniert: kein erotischer Schleiertanz, sondern die psychoanalytische Fallstudieeines verstörten Mädchens

Die Radikalität von „Salome“ wird in dieser Version besonders gut erkennbar Foto: Monika Rittershaus /Deutsche Oper

von Niklaus Hablützel

In der Deutschen Oper sitzen die schärfsten Kritiker nicht im Parkett, sondern im Orchestergraben. Die Damen und Herren sind sehr empfindsam. Vor Weihnachten haben sie den schönsten Verdi erbarmungslos vergeigt, weil ihn auch der Regisseur vergeigt hat. Am Sonntag haben sie mit Strauss gejubelt, und zwar mit „Salome“, die aus ihrer Sicht ein einziger Hürdenlauf für Hochleistungsvirtuosen ist. Verdi ist ein Kinderspiel dagegen. Aber jetzt gelingt alles. Ständige Tempowechsel, brutale Harmonieverdichtungen, extreme Farben: Alles ist da, klar, präzise und makellos gespielt.

Man darf daraus auf die Qualität der gesamten Inszenierung schließen. Sie hat sogar das Orchester überzeugt, das jetzt endlich auch einmal mitspielt und hören lässt, wozu es imstande ist. Alain Altinoglu führt es sicher durch die Instrumentalklippen der Partitur, aber ohne den Verführungen des Klang­rausches nachzugeben. Er schwelgt nicht, sondern hält mit französischer Eleganz Maß.

Gerade in dieser schlanken, von allen Pathosgesten freien Version wird die inzwischen zeitlos gewordene Radikalität dieses Stücks aus dem Jahr 1905 besonders gut erkennbar. Mit Catherine Naglestad ist die Titelrolle überragend besetzt, auch Michael Volle als Prophet Jochanaan und Burckhard Ulrich als Herodes singen ihre Rollen mit überzeugender Bühnenpräsenz. Sie alle, Orchester, Ensemble und Dirigent, haben denn auch das Publikum begeistert, das sich dankbar und stürmisch für die in der Tat großartig dargebotene Musik bedankt hat.

Buhgeschrei allerdings musste am Ende Claus Guth über sich ergehen lassen. Völlig zu Unrecht, wenn auch verständlich, denn noch weit drastischer als Altinoglu hat er mit allen Konventionen der „Salome“-Aufführungen seit der Uraufführung gebrochen. Die erotisch aufgeladene Schwüle des von Strauss wörtlich vertonten Theaterstücks von Oscar Wilde aus dem Jahr 1891 ist verschwunden. Die Bühne ist schwarz, auf einem braun furnierten, hölzernen Treppenaufbau sind Männer in Anzügen zu erkennen. Sie bewegen sich kaum, und wenn doch einmal, stellt sich heraus, dass sie Marionetten sind, die an unsichtbaren Fäden hängen.

Im vollen Scheinwerferlicht sichtbar ist allein Catherine Naglestad in einem gelben Kleid. Wie Orgelpfeifen aufgereiht vom kleinsten zum größten stehen immer wieder sechs Mädchen in weißen Hemdchen neben ihr. Jedes ist ein stummer Zeuge der sexualisierten Gewalt ihres Stiefvaters Herodes.

Sie flieht vor ihm und weiß nicht, was mit ihr selbst geschieht. Guth lässt sie verstört ins Leere blicken, bevor sie trotzig aufstampfend verlangt, ihr diesen Propheten Jochanaan zu zeigen. Er wird nackt aus der Zisterne gezogen, und Guth hat den Mut, eine völlig unverstellte, intime Szene pubertierender Sexuallust zu zeigen. Sie liebt diesen Körper in allen Einzelteilen, die Haare, die Lippen und besingt sie mit der ganzen lyrischen Symbolpracht, die bei Oscar Wilde im Text steht. Michael Volle hält mit seinem Strahlebariton dagegen, verflucht die Sünde, die Mutter und alles, was seinem Gott sonst noch missfällt – die Prinzessin Salome vor allem.

Sie alle, Orchester, Ensemble und Dirigent, haben das Publikum begeistert, das sich dankbar und stürmisch für die in der Tat großartig dargebotene Musik bedankt hat. Buhgeschrei allerdings gab es für den Regisseur

Wieder prallt der Liebeswunsch ab an der Gewalt eines Mannes, und dann kommt auch noch schwitzend grapschig der Stiefvater und will sie tanzen sehen. Die hier übliche Stripnummer des Schleiertanzes, dem diese Oper sehr wohl auch ihren Stammplatz im Repertoire verdankt, wird bei Guth zur eiskalten Enthüllung der ganzen Gesellschaft liebloser Männer aus besseren Kreisen, die ihren Spaß haben wollen mit schönen Mädchen. Sie kriegen sie auch, es gibt ja sechs davon, eines jünger als das andere wird hereingetragen und muss ein paar Trippelschrittchen machen.

Die Szene hat sich inzwischen gewandelt. Wir befinden uns jetzt im Geschäft eines Herrenschneiders. In den immer noch braun furnierten Holzschränken hängen Anzüge und Krawatten, an der Wand steht der Schriftzug „Maßanfertigungen“. Ein extremer Kontrapunkt zu Strauss, der ein dramatisches Bild für die Welt liefert, wie sie aus Sicht der Prinzessin aussehen muss. Es ist eine Welt der Maßanfertigungen für Herren, ihre ganze Familie besteht nur aus bösen und dummen Puppen. Der Schlimmste ist dieser Prophet. Wütend lässt Guth Catherine Naglestad singen, dass sie seinen Kopf haben will. Auf einem Silbertablett, und wir sind ganz nah an Oscar Wildes makabrer Farce. Das ungezogene Mädchen macht sein Spielzeug kaputt. Und küsst den abgeschlagenen Kopf. Das wolltest du nicht? Das hast du jetzt davon.

Sehr zart und innig singt Catherine Naglestad dann aber auch: „Hättest du mich angeblickt, hättest du mich geliebt.“ Aber Claus Guth verteilt keine Sympathien. Ein Opfer ihrer Gesellschaft ist seine Salome schon, aber sie ist ein böses Opfer, ein tödlich trotziges Kind. Ganz große Oper mal wieder an der Bismarckstraße.

Nächste Aufführungen: 29. 1.; 3., 6. 2.; 2. 4. 2016

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