Buchhändler aus Leidenschaft

Antiquariat Seit nunmehr 16 Jahren verkauft Patrick Krause gebrauchte Bücher in seinem Kreuzberger Geschäft. Zudem ist sein Laden Treffpunkt für politische Gruppen

Touristen wie Anwohner mögen Krauses Buchhandlung als Rückzugsort neben Cafés und Schnellrestaurants am Heinrichplatz Foto: Daniel Kister

von Daniel Kister

Zwar kann sich Patrick Krause nicht vorstellen, etwas anderes zu arbeiten. Aber manchmal tut ihm seine Arbeit als Buchhändler gar nicht gut. Der Mann in der Secondhand-Buchhandlung Müßiggang am Kreuzberger Heinrichplatz hat schon viel erlebt: Oft kommen Menschen aus finanziellen Nöten zu ihm – und noch öfter seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze 2005. „Die Nachbarn bringen ihre Schätze, weil sie kein Geld mehr für den Supermarkt haben.“ Es sei auch schon vorgekommen, berichtet der 46-jährige gelernte Politikwissenschaftler mit der ruhigen Art und der strubbeligen Frisur, dass Menschen angefangen haben zu heulen. „Wenn eine Mutter ihr Kind von der Auslage wegzerrt, weil 2,50 Euro zu viel sind, dann tut das weh“, sagt er. In Situationen wie dieser will der Buchhändler kein Buchhändler mehr sein.

Gut, dass es nicht nur solche Situationen im Müßiggang gibt. Denn alles in allem, sagt Patrick Krause, gäbe es nichts Dankbareres, als eine Buchhandlung in Kreuzberg zu führen. Vor 16 Jahren eröffnete er seinen Laden hier zum ersten Mal. „Wo immer ich hier aufmache, ist es dasselbe“, berichtet er nach mittlerweile vier Umzügen: „Besonders in den ersten Wochen kommen Leute aus der Nachbarschaft, nur um zu sagen, wie schön es ist, dass es jetzt einen Buchladen gibt.“ Vielleicht liegt es daran, dass zwischen wechselnden Schnellrestaurants am Heinrichplatz Krause seinen Laden auch als Rückzugsort versteht. Oder dass Krause tatsächlich zur seltenen Spezies Mensch gehört, die Buchhändler aus Leidenschaft werden. „Andere Leute wollen gern Lokführer oder Feuerwehrmann werden. Ich hatte immer den Wunsch, einen Secondhand-Buchladen zu haben.“ Ganz sicher aber liegt es auch an der Bescheidenheit des Buchhändlers, dass seine Nachbarn ihn so mögen. Denn obwohl er kaum vom Verkauf seiner Bücher leben kann – Bücher für 10 Euro sind seiner Klientel meist zu teuer –, verschenkt er noch immer einfach seine Ladenhüter – draußen, in einer Freebox. „Die müssen gar nicht schlecht sein“, sagt er, froh darüber, dass die kapitalistische Marktlogik nicht alle Bereiche seiner Bücherwelt durchdrungen hat.

Und auch der Gentrifizierung scheint der Buchladen – trotz exponierter Lage am Heinrichplatz – bislang zu trotzen. Da das Haus seines Buchladens der Genossenschaft Luisenstadt gehört, fühlt sich Krause vor Vermieterwillkür geschützt, während er gleichzeitig um sich herum „brutale Ladenrotation“ beobachtet. Neben den Nachbarn kommen hier auch viele Touristen vorbei, die die alternative Buchhandlung mit den unzähligen Bücherstapeln und dem inhaltlichen Schwerpunkt „Politikzeug“ besichtigen wollen.

Die Räume teilt er sich mit der Assoziation 14a – einem freien Zusammenschluss von linken und sozialen Gruppen, die sich regelmäßig zum Plenum treffen. Mittwochs bietet eine Anwältin ehrenamtliche Sozialberatung. „Ich kann die Leute inhaltlich einweisen“, sagt der Buchhändler, der gerne zusammen mit den politischen Gruppen arbeitet. So verhindere er auch, sich zum „Schrat“ zu entwickeln – zu einem Klischee eines Antiquars.

„,Müßiggang‘ ist eines der schönsten deutschen Wörter“

Patrick Krause, Buchhändler

16 lange Jahre ist es jetzt her, dass sich Patrick Krauses Wohngemeinschaft auflöste und der damals 30-Jährige seinen Traum wahr werden ließ: „Ich suchte eine Wohnung im Erdgeschoss, wo ich eine Buchhandlung reinpacken konnte.“ Sechs Monate war er wohnungslos, bevor er im November 1999 einen Mietvertrag für eine Erdgeschosswohnung in der Reichenberger Straße unterschrieb. Was fehlte, waren die Bücher. „Zur Einweihungsparty der neuen Wohnung habe ich das Bier besorgt und meinen Gästen gesagt, dass sie die Bücher mitbringen sollen“, erinnert er sich. Nach der Party war das Bier ausgetrunken und Krauses Wohnung eine Buchhandlung. Zwei Bücherregale haben die Geschenke der Gäste füllen können, und mit der Zeit sind immer mehr hinzugekommen.

Übrigens: Nicht umsonst heißt der Buchladen von Patrick Krause Müßiggang. Der genügsame Buchhändler hält das Wort „Müßiggang“ für „eines der schönsten deutschen Wörter, weil Muße hier mit Gang verbunden wird – also mit einem aktiven Vorgang“. Muße komme aus dem Griechischen und die alten Griechen fanden, dass Arbeit allein zur Daseinsvorsorge des Menschen nicht würdig sei, führt er aus, um im nächsten Satz die damalige Sklavenhaltergesellschaft zu kritisieren. Zumindest samstags kann der Buchhändler seinem Ladennamen treu sein. An diesem Tag hat er immer nur nach Belieben geöffnet.

Müßiggang, Secondhand-Buchladen, Oranienstr. 14a