: Erste Sahne altbacken
Genitiv Keine Experimente: Ken-Follett-Zweiteiler im Zweiten („Die Pfeiler der Macht“, ZDF, 20.15 Uhr; Teil zwei am 27. 1.). Und ein bisschen Elend gibt es auch
von Jens Müller
Ach, was waren das für Zeiten, als das ZDF (fast) jedes Jahr zur Weihnachtszeit einen der wunderbaren Romane von Jack London, Robert Louis Stevenson oder Jules Verne als epischen Vierteiler aufführte. Sie währten von 1964 bis 1983.
Und heute? Stimmt es, dass sich das ZDF nicht länger von Sat.1 die Butter vom Brot nehmen lassen will und nach sechs Jahren wieder einen Roman des Schmöker-Königs Ken Follett verfilmt hat ? Nicht wie Sat.1 als Vierteiler, aber als Zweiteiler immerhin?
Es stimmt wirklich. Nun ist, bei aller Gewogenheit, Ken Follett kein zweiter London und schon gar kein Stevenson. Aber mit (deutschen) Genitiv-Titeln kann er auftrumpfen wie kein Zweiter: „Die Säulen der Erde“. „Die Tore der Welt“. Hat Sat.1 schon gemacht. Blieben „Die Brücken der Freiheit“ und „Die Pfeiler der Macht“. Letztere haben das wohlhabendere Personal, viktorianisches Zeitalter, das sieht im Bildermedium schicker aus. Die „Pfeiler“ also.
Natürlich, die bittere Armut im Londoner East End – als klitzekleiner Bruch, als Gegenstück zu diesen wunderbar gediegenen englischen Herrenhäusern – muss auch unbedingt (kurz) gezeigt werden. Die deutsche Sängerin Yvonne Catterfeld, die hier aber eine Amerikanerin ist, ist im zweiten Teil ganz entsetzt, wenn sie in ihrer schicken Kutsche durch Whitechapel fährt (1882 – nur sechs Jahre also vor dem Auftreten Jack the Rippers), auf dem Weg in eines dieser Herrenhäuser. So was gibt es in Deutschland gar nicht, muss deshalb „an Originalschauplätzen in Irland“ gedreht werden. Was außerdem die Möglichkeit eröffnet, ein bisschen irische Filmförderung mitzunehmen. Wirklich clever.
Und wenn man schon mal da ist, warum nicht gleich die männliche Hauptrolle mit einem dieser am Drama Centre London (Colin Firth, Michael Fassbender, Tom Hardy ...) bestens ausgebildeten, Shakespeare-gestählten, aber filmisch unverbrauchten Jungschauspieler besetzen? Er heißt Dominic Thorburn, und sein wirklich einziger Makel ist, dass er kein Wort Deutsch spricht. Aber mit Synchronisation haben die deutschen Zuschauer bekanntlich kein Problem. Und Thorburn ist ja der Einzige. Die weibliche Hauptdarstellerin spricht, obwohl Niederländerin, Deutsch. Wenn auch mit leichtem Akzent. Laura de Boer ist eine bezaubernde Erscheinung, und ein niederländischer Akzent ist schließlich nicht weniger englisch als das lupenreine Hochdeutsch der anderen Darsteller. Und die sind erste Sahne: Jeannette Hain, Axel Milberg, Thorsten Merten – ein echter Coup: David „Oskar Matzerath“ Bennent. Und Rolf Hoppe gibt das Familienoberhaupt schon seit „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.
Regisseur Christian Schwochow hat bereits Tellkamps „Turm“ verfilmt. Mit Zweiteilern und Machwerken kennt er sich also aus.
Schwochow zeigt ein gewisses Faible, die Kamera (Bildgestaltung: Frank Lamm) senkrecht von oben auf seine Darsteller zu richten; er beleuchtet zeitgenössisch mit Kerzenschein („Barry Lyndon“!). Davon abgesehen entsagt er souverän allen allzu manieristischen Versuchungen. Man denke nur an Scorseses Virtuosität bei der Inszenierung des gesellschaftlichen Popanz in „Zeit der Unschuld“.
Aber das ist Kino, und hier sind wir im Fernsehen. Das heißt auch: Anders als bei Scorsese muss die Liebe, die nicht sein darf, am Ende sein können. Eine Tante voller Hass und ein (Latino-)Verführer ohne Skrupel vermögen es nicht zu verhindern. Hugh, der mittellos ist, aber ein Finanzgenie, und Maisie, die arm ist und eine Taschendiebin, aber, wie gesagt, eine bezaubernde Erscheinung, werden sich kriegen. Denn, und das ist die Moral: Man hat immer eine Wahl. Alle Achtung.
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