Berliner Szenen: Neon-Bop
Sehnig
Ein Jazzkonzert sollte das erste im neuen Jahr sein, sonst käme ich mir schäbig vor, irgendwie untreu. Das Quartett ist seit Langem ein Zuhause für mich, spielt aber selten in Berlin. Ich hatte Spaß an den Alben, nur das letzte des Bandleaders mit seinem Trio fand ich nicht gelungen.
In dem Jazzclub im Berliner Westen, in welchem die Band traditionell zu Beginn des Jahres auftritt, ist alles wie gehabt. Die rührigen älteren Fans haben lange vor Beginn des Konzerts ihre Posten bezogen. Leider merken sie nicht, dass sie leise Passagen der Musik mit ihren Kameras stören.
Die nachträgliche Heldenverehrung im stillen Kämmerlein kennt keine Rücksicht. Erfreulicherweise sind viele StudentInnen zugegen, die Schlagzeuger starren gebannt auf die Sticks des Rheinländers, der vor Jahren nach New York exilierte und die Schule des Big Apple nun auf die Becken und Trommeln brät.
Zu hören sind Jazzstandards in aktuellem Gewand und neue Eigenkompositionen. Fast alle Stücke sind auf rasendes Tempo hochgeschraubt, die neuen so sehr in sich verschlungen, dass sie kaum unbeschwertes Zuhören ermöglichen.
Neobop wäre vielleicht eine treffende Bezeichnung dafür, ich erweitere sie auf Neon-Bop: Hauptsache, grell und ach so individuelle Improvisationsgeschosse abfeuern – wo ist nur die Musik hin, die ich mag?
Die samtigen Girlanden des Altsaxofonisten auf seinem wunderschön patinierten Instrument erinnern mich dann doch an die vergangene Begeisterung. Aber ich verwünsche die Konzertpraxis, die Musiker dazu bringt, Dienst nach Erwartung zu tun.
Was bleibt, ist die hervorgewölbte Sehne des Posaunisten, die sich vom Ellenbogen diagonal über den Unterarm bis zum Handgelenk schlängelt. Die habe ich so tatsächlich noch nie gesehen. Franziska Buhre
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