„Ein Bruch im System“

Vortrag über Theorie und Praxis der Inklusion

■ 39, Sozialwissenschaftler und Kriminologe, lehrt an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie, dem „Rauhen Haus“

taz: Herr Lutz, worin besteht das Dilemma der Inklusion?

Tilman Lutz: In dem unklaren Begriff, der in der Praxis verkürzt verwendet wird: Diejenigen, die den Begriff geprägt haben, meinten damit das Ende jeglicher Ausgrenzung – sei es wegen Behinderung, Migrationshintergrund oder aus anderen Gründen. In der aktuellen Praxis verdeckt Inklusion jedoch Ausgrenzungen.

Warum?

Weil entweder bestimmte Institutionen oder Gruppen fokussiert werden, also nur Teile der Gesellschaft. Etwa die Schule, in der explizit zwischen „Inklusionskindern“ und „Nicht-Inklusionskindern“ unterschieden wird. Die Stigmatisierung ist also nach wie vor da. Außerdem wird auch diese Facette von Inklusion unzureichend umgesetzt.

Inwiefern unzureichend?

Ich bleibe beim Schulbeispiel, zumal auch mein Sohn mit dem Down-Syndrom lebt. Kinder mit Behinderung dürfen zwar in die Stadtteilschulen gehen. Dort wird auch auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegangen.

Aber?

Beim Schulabschluss sind Inklusion und Binnendifferenzierung vorbei: Dann gibt es Leistungskriterien, die für alle gelten – und die „Inklusionskinder“ sind möglicherweise wieder draußen. Wenn sie diese „Chance“ nicht nutzen, ist es „ihr Problem“, wenn sie keine echte Teilhabe an Gesellschaft, an Lohnarbeit und so weiter erreichen. Da ist ein Bruch im System.

Ist schulische Inklusion also eine Alibi-Veranstaltung?

Zumindest eine halbierte Veranstaltung.  INTERVIEW: PS

Vortrag „Inklusion – alles gut?“: 16.30 Uhr, Zentrum für Disability Studies, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1, Raum 221