: Das Internet informiert besser
Lesung Der palästinensische Dichter Ashraf Fayadh wurde in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt – mit der Begründung, er sei vom Glauben abgefallen. Am Donnerstag fanden weltweit Lesungen zu seiner Unterstützung statt, auch im Berliner Hebbel Am Ufer
von Katharina Granzin
„Apostasie“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „Wegtreten“. Es bezeichnet den Abfall vom Glauben, heute vor allem auf die islamische Glaubenswelt angewendet, und kann nach den Gesetzen der Scharia mit dem Tod bestraft werden. Wie genau der Lyriker Ashraf Fayadh seinen Abfall vom Glauben geäußert haben soll, ist noch immer unklar. Es soll einen Zeugen geben, der ihn angezeigt hat. Am 17. November vergangenen Jahres erging in Saudi-Arabien das Todesurteil gegen den 35-Jährigen, der als palästinensischer Flüchtling im Land aufgewachsen ist und in der Kulturszene eine wichtige Rolle einnahm. Um gegen das Urteil zu protestieren, fanden am vergangenen Donnerstag weltweit Lesungen statt („Worldwide Reading for Ashraf Fayadh“) – initiiert wurden sie vom Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb). Viele Berliner Veranstaltungsorte und Buchhandlungen beteiligten sich.
Ashraf Fayadh kuratierte den saudischen Pavillon auf der Biennale in Venedig und arbeitete zusammen mit Chris Dercon, designierter Intendant der Berliner Volksbühne, an einer Schau arabischer Kunst in London. Ein Gedichtband von Fayadh erschien in einem libanesischen Verlag. Seine Gedichte sollen von schmerzvollen Betrachtungen über sein Leben als Palästinenser in einem fremden Land gekennzeichnet sein, ansonsten aber nichts enthalten, was als Gotteslästerung ausgelegt werden könnte. Beobachter vermuten, dass das Urteil konstruiert wurde, um eine regimekritische Stimme mehr zum Verstummen zu bringen. In einem ersten Urteil war Fayadh zu Stockschlägen verurteilt worden, weil er mit seinem Handy Frauen fotografiert hatte; erst anschließend ging das Urteil mit dem neuen Vorwurf der Apostasie an ein höheres Gericht zurück.
Mehr Hinrichtungen
Seit Inthronisierung des neuen Königs Salman ibn Abd al-Aziz Anfang 2015 hat die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen in Saudi-Arabien zugenommen. Schon eigenartig, dass man in Deutschland eher wenig über ein Land weiß, mit dem doch so gute Geschäfte gemacht werden. Selbst nach der Massenhinrichtung von Anfang Januar dieses Jahres war die Bundesregierung zögerlich, als es darum ging, scharfen Protest auszusprechen. Die Saudis sind nicht nur gute Waffenkäufer und Öllieferanten. Man hofft auf sie auch als große, vermeintlich stabilisierende Regionalmacht im Nahostkonflikt.
Es mache sie krank, wenn sie nur daran denke, dass ausgerechnet Saudi-Arabien für die Zukunft Palästinas entscheidend sein solle, sagt die in Berlin lebende palästinensische Autorin Adania Shibli, die am Donnerstagabend bei der Veranstaltung im Hebbel Am Ufer mit auf dem Podium sitzt. Shibli war es, die ihn auf das Schicksal Fayadhs aufmerksam gemacht hatte, erklärte Ulrich Schreiber, Leiter des ilb, zuvor. Ashraf Fayadhs Schwester lebt in Gaza und hatte über das Internet zur Unterstützung ihres Bruders aufgerufen, wodurch Shibli von dem Fall erfuhr.
In zahlreichen Städten auf allen Kontinenten finden an diesem Abend Lesungen zur Unterstützung Fayadhs statt. Die Veranstaltung im HAU ist die größte in Berlin – es hätte eine recht eindrucksvolle Veranstaltung werden können, wenn der Abend mit einem Minimum an dramaturgischem Verständnis geplant worden wäre. In Wirklichkeit läuft er gleichsam rückwärts und beginnt mit seinem dramatischen Höhepunkt, um in harmlosem Diskursgeplänkel zu enden.
Zudem ist die Veranstaltung sensationell uninformativ, denn von Fayadh selbst, seinen verschiedenen Tätigkeiten und der Art der Vorwürfe gegen ihn ist merkwürdig wenig die Rede. (Fast alle oben im Text angeführten Informationen kommen am Abend gar nicht zur Sprache, sondern stammen aus dem Internet.)
Das Schlusspanel, das man besser an den Anfang gesetzt hätte, wird moderiert von der selbstbewussten Priya Basil, die mit very britischem Akzent Eindruck macht, ihre Gesprächspartner aber oft mit Fragen überfordert, die zu sehr auf Allgemeingültigkeit zielen („Was können wir machen gegen den Fundamentalismus?“). Die Arabistin Ulrike Freitag steuert ein paar interessante Bemerkungen zur saudischen Lebenswelt bei, vor allem die Beobachtung, dass die politisch-rechtliche Lage sich unter dem neuen König immer bedenklicher gestaltet, sich in den letzten Jahren aber auch eine zunehmend starke Gegenöffentlichkeit artikuliert, vornehmlich über das Internet. Der Autor Peter Schneider sieht seine Hauptaufgabe darin, wiederholt zu erklären, man solle endlich aufhören, Geschäfte mit den Saudis zu machen. Ein Schlusswort mag niemand sprechen, wodurch man am Ende ziemlich unschlüssig auseinandergeht. Vorher hatte, und das war deutlich interessanter, Frank Arnold einen Text von Edward Said gelesen und Fadhil al-Azzawi Auszüge aus Ashraf Fayadhs Gedicht „Frida Kahlos Schnurrbart“. Und eingangs hatte da vorn, bewaffnet mit zwei großen Klangschalen, der chinesische Autor Liao Yiwu gestanden und sein Gedicht „Massaker“ in den Raum skandiert, dass es sogar im Theatersaal noch lange nachhallte. Das gab ein Zittern durch Mark und Bein, mit dem man uns eigentlich nach Hause hätte schicken sollen.
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