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Archiv-Artikel

Paris macht die Rechnung ohne den Wirt

FRANKREICH Tiefere Preise und höhere Löhne hatten die Wirte- und Hotelierverbände als Gegenleistung für eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19,6 auf 5,5 Prozent versprochen. Aber sie halten sich nicht daran

PARIS taz | Die großen Restaurantketten hatten sofort verstanden, dass diese Senkung der Mehrwertsteuer, der „TVA“, ein stichhaltiges Argument für ihre Werbung darstellt. „Baisse de prix – Hausse du plaisir“ (Kleinere Preise – größeres Vergnügen) lautet in großen Lettern der Blickfang für potenzielle Konsumenten auf den Grill-Lokalen „Hippopotamus“, die wie zahlreiche Bistrots und Brasserien oder auch die traditionsreiche „Coupole“ auf dem Pariser Boulevard Montparnasse zur Gruppe Flo gehören. Auf der Menükarte der „Coupole“ können die Gäste die Preise vorher/nachher schwarz auf weiß überprüfen. Merci beaucoup für so viel Transparenz!

Um den offiziellen Aufkleber „La TVA baisse, les prix aussi“ anbringen zu dürfen, muss aber nur ein Teil der Angebote verbilligt werden. Und manche Gastwirte mogeln, indem sie nur die am wenigsten verlangten Produkte vergünstigen.

Ein halbes Jahr nach dem Inkrafttreten der verminderten Mehrwertsteuer – sie war für Restaurants und Hotels von 19,6 auf 5,5 Prozent gesenkt worden– ist die Bilanz ernüchternd. Den Staat kostet das Ganze 2,5 Milliarden Euro im Jahr, aber insgesamt gingen die Preise im Gastgewerbe bis 31. Oktober laut dem Statistischem Amt nur um 1,46 Prozent zurück. Die Wirteverbände hatten aber mindestens eine Baisse um drei Prozent versprochen. Sie sind auch weit von den 40.000 zusätzlichen Beschäftigten entfernt, die sie rekrutieren sollten. Vor allem sollten die notorisch schlecht bezahlten Berufe der Köche, Kellner und Küchengehilfen, die oft abends und sonntags arbeiten, wenigstens finanziell attraktiver werden. Die Regierung mahnte die Branche zu einer zusätzlichen Anstrengung. Doch stattdessen sind nun auch noch die Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften geplatzt. Sie werfen den Arbeitgebern vor, sie hätten diese Verhandlungen nur auf Druck der Regierung zum Schein inszeniert, in Wirklichkeit aber wollten sie die Steuererleichterung ebenso wenig mit ihrem Personal teilen wie an die Kunden weitergeben. Warum sollten sie auch, sind doch keine Sanktionen vorgesehen für den Fall, dass die Wirte ihre Versprechen nicht einhalten.

Diese haben kein schlechtes Gewissen. Beim Wirteverband Synhorcat weist Didier Chenet darauf hin, dass ja nur eine schreiende Ungerechtigkeit beseitigt wurde. Denn die Konkurrenten der „Take-away“-Lokale, die ihre Sandwiches, Pizzas oder Hamburger zum Mitnehmen verkaufen, hatten seit langem den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 5,5 Prozent. Er habe darum Mühe, von einer „moralischen Verpflichtung“ zu Preissenkungen zu sprechen. RUDOLF BALMER