Alte Schule

AVANTGARDE VON GESTERN Der NDR und Radio Bremen haben Geburtstag gefeiert. Doch sucht man solche Meilensteine der Fernsehunterhaltung wie den in Bremen produzierten „Beat-Club“ heute nicht vergebens?

So sahen die wilden 68er in Bremen aus: Beat-Club mit Moderatorin Uschi Nerke   Foto: Radio Bremen

Beweihräucherung der Alt-68er

betr.: „Soundtrack einer verpassten Revolution“, taz.nord vom 2./3.1.16

Nostalgie schön und gut, aber Euer Wochenendgesamtpaket mit Lobhudelei auf die „gute alte Zeit“ und Tenor ‚heute ist alles schlechter‘ ist doch etwas nervig geraten.

Geschenkt, dass es mal wieder auf eine (Selbst-)Beweihräucherung der Alt-68er hinsichtlich ihrer emanzipatorischen Kraft hinausläuft. Aber die Arroganz mit der alles, was danach gekommen ist, abgewertet wird, ist einfach nur anstrengend. „Warum die Top-Ten-Charts heute so geschlossen dumm wie deutsch singen“, fragt sich der Autor. Welche Charts bitte? Offensichtlich kennt er keine, denn weniger als die Hälfte der Lieder hat deutsche Texte. Und wieso soll ein englischer Text per se besser sein? Weil der schwache Inhalt dem deutschsprachigen Publikum weniger auffällt? Unabhängig davon ist es abwegig zu behaupten, die heutigen Texte hätten allesamt ein niedrigeres Niveau als die der ach so revolutionären Songs der 60er.

Man fragt sich auch, ob der Autor sich den gesamtgesellschaftlichen Mief der 60er/70er Jahre zurückwünscht, nur um sich oder einzelne Radio-Bremen-Sendungen schön dagegen abheben zu können? Zum Glück sind die jüngeren Menschen in Deutschland im allgemeinen nie nazifiziert gewesen, so dass sie auch keiner Entnazifizierung bedürfen. Mein Beileid auch dafür, dass niemand mehr die revolutionären 68er braucht, um Sexualaufklärung zu bekommen, weil es die nun an jeder Ecke und in jedem Medium gibt. Und ja – nichts gegen Rudi Carrells „Tagesshow“, aber „Am laufenden Band“ war auch nur eine x-beliebige Unterhaltungssendung, die für eine in den 70ern aufgewachsene Zuschauerin schon opahaft daherkam. Insgesamt liest sich der Schwerpunkt wie ein rührseliger Rückblick derjenigen, die ihrer eigenen Jugend hinterhertrauern, keinen Zugang mehr zur heutigen Popkultur haben und deshalb ihren altmodischen eigenen Geschmack verklären. Antimodern sozusagen. LENA NIEMANN, Bremen