: „Unterricht statt Katechese“
VORTRAG Bekenntnisunabhängiger Religionsunterricht wird in der Schweiz eingeführt
■ 40, ist Dozent für die Fachdidaktik Ethik und Religionen an der Pädagogischen Hochschule in Luzern.
taz: Herr Helbling, in der Schweiz gibt es einen Wandel vom bekenntnisorientierten Religionsunterricht zu einer Religionskunde – überall?
Dominik Helbling: Noch nicht in allen Kantonen, aber in immer mehr. Angefangen hat der Kanton Bern schon im Jahr 1995 und im kommenden Jahr sollen alle 21 deutschsprachigen Kantone ein solches Fach eingeführt haben. Als Teil des Projekts Lehrplan 21, in dem die Lehrpläne für alle Fächer vereinheitlicht werden sollen.
In Deutschland wird die Abkehr vom bekenntnisorientierten Unterricht oft damit begründet, dass in den Klassen so viele Muslime sitzen und man denen keinen Bibelunterricht zumuten könne. Gibt es in der Schweiz überhaupt so viele Muslime?
Etwa fünf Prozent haben einen muslimischen Hintergrund, wobei davon auch wiederum nur ein Fünftel den Glauben regelmäßig praktiziert.
Dann war das in der Schweiz nicht der Anstoß?
Es war einer unter mehreren. Ein anderer ist, dass viele gar keiner Religion angehören oder ihren Glauben sehr unterschiedlich praktizieren. Grundsätzlich geht es darum, in einer pluralistischen Gesellschaft die Kompetenz zu vermitteln, mit religiöser Differenz umzugehen.
Sie bilden Lehrer und Lehrerinnen aus und erleben den Schulalltag: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wir haben Grundschulkindern die Aufgabe gestellt, einen Friedhof zu entwickeln, der allen Religionen gerecht wird. Da haben die dann ganz konkret überlegt, wie man einen Fluss bauen kann, damit die Hindus ihre Toten einäschern und an das Wasser übergeben können.
Die Kirchen wehren sich in Deutschland mit dem Argument, man könne so nicht mehr authentisch einen Glauben vermitteln.
Das finde ich einen ganz interessanten Widerspruch, weil die Religionslehrpersonen doch schon jetzt nicht zu religiösen Handlungen anleiten. Die sagen doch nicht, sie machten Katechese, sondern Unterricht. Interview:eib
19 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4