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Vom Späti nach Indien und zurück

COMIC „Venustransit“, das deutsche Debüt des iranischstämmigen Zeichners Hamed Eshrat, porträtiert liebevoll eine sympathisch planlose Jungsclique zwischen Beziehungskrisen, Gentrifizierungsproblemen und den Herausforderungen des Berliner Nachtlebens

Im wirklichen Leben hat er nicht auf ein Happy End im Kiez gewartet: Hamet Eshrat Foto: David Oliveira

von Nina Apin

Als sich die Venus vor der aufgehenden Sonne langschiebt und als dunkler Fleck am Himmel zu sehen ist, tanzt Ben gerade noch im Berghain. Oder sitzt vielleicht schon wieder in seiner Wohnung auf dem Bett, der ausgezogenen Freundin hinterhertrauernd. Oder er ist bereits, gesenkten Kopfes, auf dem Weg zu seinem freudlosen Programmierjob. Das seltene Himmelsphänomen verfolgt Ben jedenfalls nicht bewusst live, sondern in einem Späti, wo der Venustransit die Abendnachrichten abrundet. Doch selbst dann haben er und seine zwei Freunde keinen Sinn für den Kosmos: Sie warten auf das Fußballspiel.

Auch sonst scheint Ben, der sympathisch-planlose Mittzwanziger, nicht allzu viel mitzubekommen von dem, was um ihn herum passiert. Er nimmt einen Kredit auf, um seine Julia mit einem Indienurlaub zu überraschen. Dabei wohnt sie da schon bei einem anderen. Überwältigt von Liebeskummer, sucht Ben Trost bei seiner Jungs­clique und dem väterlichen Späti-Besitzer Ali, wirft sich ins Nachtleben, knallt sich mit Drogen zu. Bis ihm aufgeht, dass er die Reise nach Indien auch einfach alleine machen könnte.

Feiern, flirten, Drogen nehmen, mit den Jungs nach der einzig wahren Schallplatte stöbern (ein Erbstück von Julia, das einem Frustanfall zum Opfer fiel): Das Leben von Ben und seinen Freunden, um das der Comic „Venustransit“ des Autors Hamed Eshrat kreist, erinnert an vielen Stellen an Nick Hornbys Jungmänner-Tragikomödie „High Fidelity“. Doch bei Eshrat steht nicht die Musik im Vordergrund, sondern die Sinnkrise des jungen Helden, die nach der Indienreise zu überraschenden Entwicklungen führt.

„Venustransit“ ist zwar vordergründig ein Comic, aber mit seinen 255 Seiten, auf denen sich in liebevoll ausgearbeiteten Schwarz-Weiß-Tableaus eine klassische Geschichte entfaltet, beinahe schon ein Roman. Und ein Porträt des zeitgenössischen Berlin, zwischen den Ausgeh-Lokalen am Schlesischen Tor und dem Flohmarkt am Mauerpark. Inklusive der geheimnisvollen Nachtgestalten, die man dort treffen kann. Im Buch heißt der langbärtige Weise „Komet“ und verteilt im Berghain Amulette mit Sinnsprüchen. Auch die Atmosphäre in „Ali’s Späti“, diesem Kiez-Treffpunkt mit seinem philosophierenden Besitzer in Kittelschürze und berufsjugendlichem Stammpublikum, ist durchaus plastisch. Diesen Comic kann nur jemand gezeichnet haben, der schon ein paar Jahre in Berlin verbracht hat. Und der Liebeskummer, ist der auch authentisch?

„Für manche Teile der Story musste ich nicht recherchieren“

Hamed Eshrat

Beim Treffen im taz-Café wirkt Hamed Eshrat tatsächlich wie einer seiner Helden: Vollbart, legerer Pulli, lässiges Grinsen. Doch die Ähnlichkeiten sind sehr begrenzt, wie Eshrat selbst umgehend klarmacht: „Venustransit ist eine fiktionale Geschichte – mit gewissen autobiografischen Anteilen.“

Eshrat ist im Iran geboren, besuchte dort noch die erste Klasse, bevor die Familie – der Vater arbeitete für den „Sawac“, den Geheimdienst des verhassten Schahs – überstürzt das Land verlassen musste. Er wuchs in Westfalen auf, machte Abitur. Und reiste erst 2002 wieder in den Iran. „Es war irritierend, wie zu Hause ich mich dort sofort wieder fühlte“, erinnert er sich. Einerseits. Die politischen Umstände machten dem säkular geprägten jungen Mann aber auch klar, dass seine Zukunft in Deutschland liegt. Er zog nach Berlin, begann ein Studium.

Die Islamische Revolution von 1979 machte Hamed Eshrat 2009 zu seiner Abschlussarbeit als Grafikdesigner an der Kunsthochschule Weißensee. Nicht gerade ein Selbstläufer, wie er heute einräumt. „Für deutsche Verlage war das Thema nicht so interessant“, sagt er. „Gerade war die Verfilmung von Marjane Satrapis berühmtem Iran-Comic ‚Persepolis‘ ins Kino gekommen, dagegen hatte mein Erstling keine Chance.“ Der Band erschien schließlich unter dem Titel „Tipping Point“ bei einem französischen Comicverlag. Eshrat war’s zufrieden, stürzte sich in die Selbstständigkeit als Grafiker, Illustrator, Art Director – und ins Berliner Nachtleben. „Für manche Teile meiner Story musste ich nicht viel recherchieren.“ Er grinst. Die Grundkomponenten von „Venustransit“ – Typ irrt von der Freundin verlassen durch Berlin, feiert, trifft Frauen und setzt sich schließlich zur spirituellen Läuterung nach Asien ab – sind also doch nicht weit hergeholt. Im Mittelteil des Bands findet sich ein Sammelsurium von Reiseeindrücken aus Indien und Nepal: Flugtickets, detailreiche Zeichnungen, Gedanken und aufgeschnappte Sinnsprüche. Es sind Faksimiles aus Eshrats eigenem Skizzenbuch.

Im Comic kehrt Ben mit langem Haar und hippieskem Gleichmut in seinen Kreuzberger Kiez zurück. Bei der traditionellen Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke trifft er Julia wieder. Und erfährt, dass sie schwanger ist. Von ihm? Schwankend zwischen Zukunftsängsten und Familienutopien taumelt Ben erneut durch seinen Kiez und sein Leben. Doch diesmal trifft er ein paar Entscheidungen, die, so viel sei verraten, nicht nur privat, sondern politisch wirken und beim Lesen gute Laune machen.

Feiern, flirten, Drogen nehmen: Ben im Berliner Nachtleben Foto: Abb.: Aus dem besprochenen Band „Venustransit“

„Venustransit“ ist nicht nur ein lustiger Berlin-Ausgehcomic und eine Coming-of-Age-Geschichte. Quasi nebenbei läuft immer auch die Entwicklung von Alis Spätkauf mit: Durch häufige Eigentümerwechsel gebeutelt, von absurden Mieterhöhungen bedroht und von gentrifizierungsträchtigen Kreativbuden eingekreist, steht er da wie eine Insel in einem sich rapide wandelnden Kiez. „Ich wollte das Porträt einer Gegend zeigen, die es so schon nicht mehr gibt“, sagt Eshrat, der sich, wie er sagt, jahrelang hauptsächlich zwischen Oberbaumbrücke, Görlitzer Bahnhof und Ostbahnhof bewegt hat. Vor dem Gentrifizierungsschub, den er, wie er einräumt, mit seinem eigenen Atelier sicher auch mitbefeuert hat. Im Comic findet Ali eine clevere Lösung, um mit seinem Späti Schritt halten zu können mit den Veränderungen. Als „Bio-Späti“ erfindet er sich neu und sichert sich die neu zugezogene Hipster-Klientel.

Im wirklichen Leben hat Hamed Eshrat nicht auf ein Happy End in seinem Kiez gewartet. Zusammen mit Gleichgesinnten hat er Berlin den Rücken gekehrt und lebt in einem Strausberger Hausprojekt namens „Andere Welt“. Auf einem ehemaligen DDR-Postgelände im Wald versuchen sich rund 15 AktivistInnen im gemeinschaftlichen Zusammenleben, realisieren politische Projekte und machen Kunst. „Ein Riesenanspruch und ein super Zukunftsprojekt“, sagt Eshrat.

Jetzt, nachdem sein Comic, an dem er mit Unterbrechungen vier Jahre gearbeitet hat, endlich erschienen ist, will er sich dort wieder mehr einbringen, aktiver werden. Vielleicht sich auch wieder mehr mit dem Iran beschäftigen. Aber eins nach dem anderen: „Ich will es machen wie Ben, der erst einmal seine Wohnung putzt, bevor er politisch aktiv wird“, sagt er. „Erst muss ich das Eigene ordnen. Dann kann ich wieder raus in die Welt.“

„Venustransit“. avant-verlag, 225 Seiten, 24,95 Euro

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