: Der versteckte Hitchcock
Ausstellung Die Deutsche Bank KunstHalle zeigt noch vier Monate lang Jackson Pollocks „Mural“ – ein Fanal des Abstrakten Expressionismus
von Brigitte Werneburg
1993 war dieses Gemälde schon einmal in Berlin: in der Ausstellung „Amerikanische Malerei des 20. Jahrhunderts“, die von Christos Joachimides und Norman Rosenthals kuratiert wurde. Damals fiel das monumentale, stolze 604 mal 244 Zentimeter messende Werk merkwürdigerweise gar nicht als die kardinale Setzung auf, die es für die im Titel genannte Kunstlandschaft letztlich war. In den Besprechungen der Schau blieb der 50-jährige Jubilar weitgehend ungenannt.
Undurchdringlicher Dschungel
Im Jahr 1943 – die wohlhabende Erbin und couragierte Sammlerin zeitgenössischer Kunst, Peggy Guggenheim, war aus dem kriegsgebeutelten Europa nach New York zurückgekehrt – hatte die Galerie „Art Of This Century“ gegründet und suchte nun einen Künstler, den sie mit der Aufgabe betrauen wollte, ein paradigmatisches Werk zeitgenössischer amerikanischer Kunst für ihr Apartment in Manhattan zu schaffen. Beraten von Marcel Duchamp, beauftragte sie den noch kaum bekannten Jackson Pollock mit einem Wandbild (auf feiner, von ihr selbst besorgter Leinwand) für das Entrée ihrer Wohnung.
Mit „Mural“, wie Pollock sein Meisterwerk kurz angebunden nannte, emanzipierte sich der Künstler vom kleinen Format und fand zur großen Geste: Durch einen dichten, undurchdringlichen Dschungel aus grünen, blauen, gelben und rötlichen, dramatisch verwobenen, mit Fetzen Weiß durchzogenen Farbschlieren bahnen sich, aufrecht und energisch von rechts nach links fortschreitend, sieben schlanke schwarze Figuren ihren Weg. Obwohl noch in den Farben und in der Pinselführung viel Picasso sichtbar ist, kündigt diese erste monumentale Allover-Komposition den Aufbruch des amerikanischen Abstract Expressionism an.
Trotzdem ist das Gemälde auch in seinem Heimatland eher unbekannt. Es hängt nämlich nicht in New York, im Museum of Modern Art oder dem Whitney Museum of American Art, sondern im University of Iowa Museum of Art (IUMA). Diesem hatte Peggy Guggenheim den Jackson Pollock geschenkt, als sie 1947 nach Europa zurückging, wo sie sich in Venedig niederließ. Mit ihrem progressiven Atelierprogramm, befand sie, teile die Kunstfakultät der Universität, die übrigens bis heute regelmäßig zu den Top Ten der öffentlichen Kunsthochschule der USA zählt, ihre Auffassung von Kunst.
2008 wurde das IUMA durch eine Flut schwer getroffen. Seine Sammlung musste in Ausweichquartieren untergebracht oder andernfalls auf Reisen geschickt werden. So gelangte „Mural“ nach Kalifornien ans Getty Conservation Center in Los Angeles, zu Zwecken der Restaurierung. Dabei wurde der 1973 aufgetragene Firnis entfernt, wodurch das Gemälde zu seiner ursprünglichen Farbigkeit zurückfand. In eine Klimakiste gepackt, reist es nun durch die Welt, nach Venedig, nach London, Málaga und Berlin: Auf dass es endlich die seiner Bedeutung angemessene öffentliche Aufmerksamkeit erhalte.
Entsprechend ambitioniert zeigt sich auch die Ausstellung in der Kunsthalle der Deutschen Bank, die, vom UIMA organisiert, der Vorgeschichte des Werks wie seinen Einfluss im Werk anderer Künstler, angefangen bei Mark Rothko über Robert Motherwell, Happening-Künstler Allan Kaprow, Andy Warhol bis David Reed nachgeht. Besonders interessant ist dabei die bislang wenig untersuchte Rolle der zeitgenössischen Fotografie hinsichtlich Jackson Pollocks Drang nach einer modernen Malerei, in der die Dynamik und Rasanz der modernen Welt/-Wahrnehmung ihren adäquaten Ausdruck finden sollte.
Bekannt ist seine regelmäßige Lektüre der Zeitschrift Life, aus deren Fotofundus sich einige Vorlagen für Pollocks Kompositionen identifizieren lassen. Das gilt besonders für die durch den Krieg populär gewordene Luftbildfotografie. Und dann zeigte das Museum of Modern Art (MoMA) auch die Überblicksausstellung „Action Photography“ – noch während Pollock, entgegen der Legende, „Mural“ im Schaffensrausch einer Nacht gemalt zu haben, den Sommer 1943 über immer wieder neu an dem Bild ansetzte. Unter den 133 ausgestellten Exponaten befanden sich auch Arbeiten von Pollocks engem Freund, dem Schweizer Grafiker und Fotografen Herbert Matter. Dass Pollock diese Ausstellung sah, kann damit als sicher gelten.
Wie der Kurator der „Mural“-Begleitausstellung, David Anfam vom Clyfford Still Museum in Denver, im Katalog plausibel darlegen kann, stimmt das Spektrum der im MoMA gezeigten Motive mit dem von Pollocks späteren Drip-Paintings oft überein. Am schönsten aber ist Anfams Hinweis auf eine andere frappante Übereinstimmung. Eine Fotografie des aus Albanien stammenden Fotografen Gjon Mili von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1943 zeigt den britischen Regisseur fünffach, im dunklen Anzug mit mächtigem Bauch, wie er sich energisch von rechts nach links durch das Bild bewegt und dabei die Hand gebieterisch in die Luft stößt. Wenn man die Bilder vergleicht, könnte man in ihm wirklich, wie Anfam vorschlägt, ironischerweise ein Vorbild der hochgereckten schwarzen Figuren mit den vorgewölbten Bäuchen in „Mural“ sehen.
Bis 10. April, Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13–15, tägl. 10–20 Uhr, Katalog (Thames & Hudson) 35 Euro
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