piwik no script img

Enttäuschende Gästepolitik

BLICK VON AUSSEN Unsere dänische Gastautorin Henriette Harris berichtet von Orten in Berlin, wo sie noch nicht war. Diesmal von einem Ort, an dem sie immer noch nicht war: dem legendären Technoclub Berghain

von Henriette Harris

Einige Monate in diesem Jahr drehte die amerikanische Schau­spielerin Claire Danes in Berlin die fünfte Staffel der Serie „Homeland“. Ein türkischer Freund in Istanbul, mein dänischer Schwager in Kopenhagen und ein irischer Journalist in Berlin haben mir alle gesagt, dass ich wie eine brünette Ausgabe von ­Danes aussehe. ­Danes bedeutet dazu noch „Dänen“. Ende September war ­Danes bei der Talkshowmoderatorin Ellen DeGeneres und erzählte, dass sie das Berghain liebe, weil da nackte Menschen tanzen und Eis essen. „Würde ich auch lieben“, denke ich. Ehrlich gesagt, dachte ich immer, dass das Berghain nichts für mich ist. Ein schwules Freundespaar hat mir bizarre Erlebnisse ausführlich beschrieben und von kilometerlangen Schlangen vor dem Eingang erzählt. Aber Claire mag’s. Berghain it is. Glaube ich.

Ich frage zwei Freundinnen, ob sie am vierten Adventssonntagnachmittag mit mir ins Berghain möchten. Meine schwulen Freunde haben davon abgeraten, am Samstag hinzugehen. „Nur für Touristen. Richtige Berliner gehen am Sonntag“, sagten sie. Die eine Freundin, die Dänin K, ist Performancekünstlerin und lebt seit 15 Jahren in Berlin. Die andere, die Deutsche K, ist Juristin und lebt seit 18 Jahren in Berlin. Sie sagen sofort Ja. Sie waren auch noch nie im Berghain. Ich bin also mit meinen 11 Jahren in der Stadt der Neuankömmling unter uns. Der Mann von der dänischen K sagt, als er von unserem Vorhaben erfährt: „Bloß nicht schwanger zurückkommen!“

Am Sonntag treffen wir uns bei mir um 14 Uhr. Mein Mann hat Kalbszunge gekocht. Mein Lieblingsgericht. Auch das der deutschen K. Die dänische K lässt sich überreden zu probieren. Bevor wir gehen, essen wir letztlich alle Kalbszunge mit Senf auf Schwarzbrot. Genau das Richtige, bevor man ins Berghain geht und in den Montag hineintanzt. Glaube ich. Die deutsche K fährt mit dem Auto, wir Däninnen fahren mit dem Fahrrad. Ich gerate in Stress, weil wir uns beim Ostbahnhof verfahren, und die deutsche K schon halb erfroren auf uns ­wartet.

Tante Grün, Braun und Lila

Aber jetzt sind wir da. Das Berghain liegt riesig und verwahrlost im Nachmittagsgrau. Es gibt keine Schlange, was für Sonntag wohl normal ist. Junge Leute kommen raus und gehen rein. Sie sehen fast alle aus wie in Kopenhagen in den 1990er-Jahren. Nur dass diese hier um diese Zeit geboren wurden. Schwarze Klamotten, schwarz gefärbte Haare und ein zugekokster Blick. Punk trifft auf Grunge. Daneben sehen wir aus wie Tante Grün, Tante Braun und Tante Lila aus dem Bilderbuch der Schwedin Elsa Beskow. Was mir als selbständiger Ausdruck unsere Unterschiedlichkeit vorkam, kann eine Verhinderung werden? Die deutsche K trägt enge Jeans, spitze schwarze Schuhe, einen schwarzen Wollmantel, aber auch ein bordeauxrotes Kaschmirtuch und Diamantenohrstecker. Ich bin in dunkelgrüner kurzer Daunenjacke, schwarzen Röhrenjeans und beige­far­be­nen New-Balance-Sneakers unterwegs. Über die dänische K muss ich erst erzählen, dass sie in den 90er Jahren in einem deutschen Restaurant in New York gekellnert hat. Als es Oktoberfest in Deutschland gab, kam der Restaurantbesitzer mit Dirndls für alle Kellnerinnen. Aber nicht für die dänische K. Sie ist so dünn, dass er eine Lederhose für sie mitgebracht hatte. Und sie hat sie angezogen und gekellnert. Cool genug für das Berghain? Sollte man glauben. Heute trägt sie alte Nike-Sneakers, enge Jeans, eine Brille und eine große Armyjacke mit dem Gesicht von Martin Luther King auf dem Rücken. Lässt die Türsteher aber kalt. Kennen ihn nicht.

Ehrlich gesagt, dachte ich immer, dass das Berghain nichts für mich ist

Für Leser(innen), die auch noch nicht im Berghain waren (es gibt wohl einige solcher Raritäten, wie wir es sind) zur Erklärung: Vor der Tür stehen zwei Männer. Sie sehen wie Büffel aus: nicht wahnsinnig jung, aber groß und breit, natürlich in schwarzen Klamotten und mit bärtigem Ausdruck. Die deutsche K hat sich schon in der Wartezeit ein bisschen informiert und weiß, dass der Oberbüffel auf einem Hocker hockt. Nach der Türschwelle sitzt tatsächlich ein Mann auf einem Hocker. Er ist Berghains Antwort auf Sankt Peter. Die deutsche K erzählt, dass er entscheidet, wer reinkommt. Die Männer vorne gucken uns skeptisch an und fragen, ob wir auf der Gästeliste stehen. Nö. Dann müssen sie Sankt Peter fragen. Er schaut von seinem Hocker runter. Die dänische K meint, dass er auf ihre Nike-Sneakers fixiert ist. Dass er sie nicht mag. Nike ist die Göttin des Sieges. Hatte sie im Jenseits eine Auseinandersetzung mit Sankt Peter? Was auch immer: „Heute leider nicht“, sagen die Männer, und als wir, naiv, wie wir sind, nach einem Warum fragen, sagen sie: „Wir haben eine Gästepolitik.“ Das finde ich gut und gründlich und stelle mir ein gedrucktes Parteiprogramm mit Paragrafen vor. Es gibt darin vielleicht einen Artikel gegen Daunenjacken. Aber mit Sankt Peter diskutiert man nicht. Man geht einfach weg. Ich denke an den Artikel, den ich der taz versprochen habe. Aber die Serie heißt „Blick von außen“. Genau so wird’s.

Die Antiklimax

Die deutsche K fährt nach Hause. Die dänische K und ich spüren eine Antiklimax. Wir fahren nach Mitte ins Hackbarth’s, wo ich auch noch nie war. Es ist ein Stammlokal vieler Künstler in der Auguststraße. Schon seit den Neunzigern. Als noch keiner an das Berghain gedacht hat. Wir kommen direkt rein, setzen uns an die halbrunde Bar und bestellen sofort Bier und Tortilla. Es ist noch nicht sechs Uhr am Sonntag, und das Hackbarth’s füllt sich langsam. Männer lesen FAZ oder Tagesspiegel (tut mir leid, taz), eine Frau sitzt da mit einem Roman, ein Paar hat ein Baby mit, die Musik ist funky, viele sitzen an der Bar. Sie begrüßen den Bartender. Er ist jung und hübsch und trägt eine große, schwarze Brille. Er war bestimmt im Berghain. War er auch. Wie ist er reingekommen? „Mit Luft und Liebe“, antwortet er und lächelt. „Er ist zu nett fürs Berghain“, denke ich und frage, ob er je abgewiesen wurde. „Ja. Oft“, sagt er. Die dänische K und ich fühlen uns besser. „Aber dann geht man einfach ins about:blank oder den Salon Zur Wilden Renate. Das sind Clubs in der Nähe vom Ostkreuz. Sehr cool. Würden dir gefallen“, sagt er und schenkt uns noch ein Bier. „Danke für das Vertrauen“, denke ich. Beide Clubs haben über die Feiertage auf, der Tipp ist jetzt weitergegeben. Nur für den Fall, dass einige Leser auch im Limbus vor dem Berghain landen sollten.

Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die Stadt ist für sie noch längst nicht auserzählt. In ihrer Serie „Blick von außen“ schaut sie sich in loser Folge in Berlin um

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen