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Archiv-Artikel

Expertin für den Frieden

VERMITTLUNG Dekha Abdi hat Konflikte in Kenia befriedet. Dem Klimawandel will sie ähnlich beikommen

Dekha Ibrahim Abdi (45)

■ lebt in Mombasa. Selbst Muslima und Somalierin, pflegt sie seit Jahren Freundschaften mit Menschen anderer Ethnien und Religionen. Sie gehört zu den 1.000 Friedensfrauen weltweit und erhielt 2007 den Alternativen Nobelpreis.

AUS MOMBASA MARC ENGELHARDT

Dekha Ibrahim Abdi lässt sich in ihrem dunkelblauen Tschador auf einer Bank mit Blick auf den Indischen Ozean nieder. Es ist neun Uhr früh, der Wind weht schwüle, salzschwere Meeresluft herüber. Dekha Abdi streicht sich eine Schweißperle von der Wange, dann beginnt sie zu sprechen. Und schon nach dem ersten Satz ist nachvollziehbar, warum der so gemütlich wirkenden Mittvierzigerin marodierende Rebellen ebenso zuhören wie korrupte Militärs oder hilflose Politiker. Neben ihrer Beharrlichkeit ist es dieses Charisma, das sie berühmt gemacht hat – nicht nur im weiten Nordosten Kenias, sondern inzwischen auch weit darüber hinaus.

Dekha Abdi war 27 Jahre alt, als in ihrer Heimatstadt Wajir ein lange unterdrückter Konflikt ausbrach. „Tagsüber haben wir uns vor dem Militär gefürchtet, nachts vor den Milizen.“ Das war 1991. Der Nachbarstaat Somalia war gerade zusammengebrochen, täglich geschahen Gräueltaten, Menschen wurden auf offener Straße erschossen.

Abdi arbeitete als Lehrerin. Nach dem Unterricht hastete sie zu ihrer einjährigen Tochter nach Hause, sie fühlte sich bedrückt wie nie zuvor oder nie danach in ihrem Leben. „Wir konnten zusehen, wie die Gesellschaftsstrukturen zerbröselten.“ Krieg und Frieden waren in dieser Gesellschaft Männersache; es ging um Waffen, Weideland und Vieh. Doch Abdi und einige Freundinnen scherten sich nicht um solche Traditionen. „Wir waren von Anfang an entschlossen. Nur wussten wir nicht genau, wie wir es anstellen sollten.“ Die Frauen fragten eine deutsche Ärztin, die in Wajir arbeitete. Sie riet ihnen, keinen reinen Frauenzirkel zu gründen. Als zum ersten Mal Männer und Frauen zusammensaßen, berichtete eine Flüchtlingsfrau aus Mogadischu vom Dauerkrieg in der somalischen Hauptstadt. Zum Abschluss fragte sie die Anwesenden: Wollt ihr so leben?

„Das wollte ich nicht“, sagt Abdi auch heute mit großer Entschiedenheit. Schnell machte sie die Erfahrung, dass eine Bürgerbewegung alleine keinen Frieden garantieren kann. Deshalb wollte sie auch die im Nordosten Kenias so verfehmten staatlichen Institutionen einbeziehen.

Die Ausgangslage war schwierig. Seit der Unabhängigkeit Kenias im Jahr 1963 hatte das Militär im Nordosten mit Notstandsgesetzen regiert. In dieser Zeit unterdrückten die Soldaten alle Auseinandersetzungen in der Gesellschaft. Als der Landesteil 1991 die gleichen Rechte bekam wie das übrige Kenia, eskalierten die Konflikte um Weideland, Vieh und Erbrechte. Angefacht wurden sie auch durch den Zusammenbruch des Nachbarlandes; die Bewohner Nordostkenias sind ethnische Somalis.

„Der Staat wusste nicht, was tun“, berichtet Abdi. „Seine Vertreter kannten nichts anderes, als hart durchzugreifen – und das haben sie gemacht.“ Abdis erklärtes Ziel war, beide Seiten zu versöhnen. „Wir brauchten Vermittler, aber fast alle einflussreichen Persönlichkeiten waren irgendwie in die Unruhen verwickelt“, beschreibt sie die Lage. Also bauten Abdi und ihre Freunde mühsam eine neue Gruppe von Friedensvermittlern auf – Jugendliche, Frauenrechtlerinnen, aber auch einzelne, integre Persönlichkeiten aus Polizei, Militär und Politik. Auch die Ältesten, die in früheren Zeiten für die Lösung von Konflikten zwischen verfeindeten Clans zuständig gewesen waren, waren dabei. Sie gründeten „Friedenskomitees“: Alle Seiten sollten sich an einen Tisch setzen, Lösungen diskutieren und Vereinbarungen abschließen.

Das alles ging nur langsam voran – aber es ging voran. Eines Tages fand eine Friedenskonferenz mit Clanchefs und Religionsführern an der Grenze zu Äthiopien statt. Auch ein schweigsamer, junger Mann saß dabei. Erst nach drei Tagen habe er das Wort ergriffen, berichtet Abdi. „Da hat er gesagt: ich habe umgerechnet 5.000 Euro hier in meinem Umhang versteckt, mit denen ich in Somalia Waffen kaufen wollte.“ Der junge Mann gestand, als Spion gekommen zu sein. Doch die Berichte vom Leid seiner Feinde hätten ihm klargemacht, dass es beiden Seiten gleich schlecht ginge und der einzige Weg zum Besseren darin bestehe, die Kämpfe zu beenden. Es ist eine der Eigenheiten von Dekha Abdi, dass sie solche Geschichten erzählen kann, ohne sich selbst damit zu schmücken.

Heute sind Wajir und der Nordosten Kenias so gut wie befriedet. „Die Gesellschaft nimmt selbst Polizeiaufgaben wahr, wir haben Vermittler an den Wasserstellen, in den Schulen und entlang der Grenze, um jeden kleinen Konflikt beizulegen, bevor er wachsen kann.“ Für ihre Arbeit hat Abdi 2007 den Alternativen Friedensnobelpreis erhalten. Das Preisgeld investiert sie in eine Friedensuniversität in Wajir. Auf dem Lehrplan soll die Vermittlung von Wissen stehen, wie Konflikte friedlich beigelegt werden können. Ein angegliedertes Museum dokumentiert, wie die Menschen im Nordosten Kenias ihre jahrzehntelangen Konflikte überwunden haben.

Abdi selbst sieht sich inzwischen vor allem als Trainerin. „Ich will systematisch meine Erfahrungen weitergeben.“ So wird sie in den nächsten Tagen nach Molo reisen, wo nach den Wahlen Ende 2007 schwere Unruhen ausbrachen. Bis heute bedrohen sich Mitglieder verfeindeter Ethnien mit Mord und Totschlag. Die Muslimin Abdi will dort zusammen mit Pfarrern überlegen, wie die zerrissene Gesellschaft zu kitten ist. Berührungsängste zwischen den Religionen hat sie nicht. „Ich finde es bereichernd, mit christlichen Kollegen zu arbeiten. Die meisten Gruppen, in denen ich mich engagiere, sind eh religiös gemischt.“

„Wir Vermittler dürfen nicht glauben, die Probleme anderer lösen zu können“

Abdi lehrt, anderen zuzuhören und viele andere kleine Schritte, die einen Verständigungsprozess erst möglich machen. „Das Wichtigste ist, dass wir Vermittler nicht glauben, die Probleme anderer lösen zu können“, sagt sie. „Wir können den Konfliktparteien nur auf dem Weg zur Lösung helfen.“

Was im Kleinen funktioniert, muss auch im Großen klappen, ist Abdi überzeugt. Selbst eine globale Krise wie der Klimawandel lasse sich ähnlich lösen wie der Konflikt in ihrer Heimatregion. „Der Globus besteht schließlich aus vielen Dörfern“, sagt sie – und das klingt jetzt nicht nach klammer Ostermarschrhetorik. „Was wir brauchen, ist eine Struktur, die festlegt, was richtig ist. Und wir brauchen Vorbilder aus Religion, Wirtschaft und Politik.“

Was Abdi darunter versteht, illustriert sie mit der Geschichte eines mittleren Verwaltungsangestellten bei einer Londoner Bank. Der bekam eines Morgens den Anruf seines Chef aus Dublin. Er teilte mit, er habe sein Blackberry im Büro vergessen. „Steigen Sie in den nächsten Flieger und bringen Sie ihn hinterher“, habe der Chef gefordert. Der Mann weigerte sich – aus Umweltgründen. Er wurde entlassen und klagt derzeit vor einem Arbeitsgericht. „Wenn wir alle so handeln würden, wäre das Klimaproblem schnell gelöst“, schlussfolgert Abdi.

Naiv ist die Kenianerin aber nicht: Dass Durchschnittsverbraucher von heute auf morgen zu Ökos werden, glaubt sie nicht. Vielmehr gehe es um Impulse. „Erst müssen wir die Weltanschauung verändern, dann das Verhalten – so ist es bei jeder Konfliktlösung.“ Deshalb schlägt sie ein Forum gegen den Klimawandel vor. Der Politikergipfel in Kopenhagen sei dafür kaum der richtige Ansatz – auch, weil nicht nur global, sondern ebenso im Dorf diskutiert werden müsse. „Es ist doch so: Wenn genug Individuen, Städte und Religionsgemeinschaften auf klimafreundliche Strategien setzen, wird die Politik nachziehen“, sagt Abdi. Von oben werde es schlicht keinen Wandel geben, ist die Friedensfrau überzeugt. „Die Politik führt nicht, die Gesellschaft führt – und die Politik folgt.“