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Unwohlsein in Schwarz-Weiß

Düster-Atmosphäre Erfrischend weit weg vom klassischen Weihnachtsmärchen: Mit „Rebekka – völlig frei nach Hitchcock“ bringt das Lichthof-Theater ein schaurig-schönes, respektloses Gruselkabinett auf die Bühne

von Katrin Ullmann

„Wir können nie mehr nach Manderley zurück, das ist gewiss. Aber im Traum zieht es mich immer wieder dorthin.“ Mit diesen Worten beginnt die namenlose junge Frau ihre Erinnerungen. Erinnerungen an ihr Leben als Mrs. de Winter auf Schloss Manderley.

Wie so oft bei Hitchcocks Thrillern reicht es auch diesmal, den Namen „Manderley“ ein paar Mal zu murmeln, und augenblicklich stellen sich nicht nur unvergessliche Angstschlossbilder in Schwarz-Weiß ein, sondern auch sämtliche Nackenhaare auf. „Manderley“ murmelt auch das Ensemble des Lichthof-Theaters gleich zu Beginn des Abends. Vielstimmig und rau dringen die Stimmen durch das Möwengeschrei aus den Lautsprechern. Nur schemenhaft sind da Figuren zu erkennen. Im Halbdunkeln gruselt es sich einfach besser.

Manderley, meerumtost und einsam, erinnert sich der Zuschauer, das ist kein guter Ort. Auf Schloss Manderley, da spielt die Geschichte von jener jungen Frau und dem undurchschaubaren Maxim de Winter. Da gibt es doch diese fiese Haushälterin, die zerbrochene Statue, den mysteriösen Segelunfall und vor allem die überpräsente, obwohl verstorbene Ehefrau: „Rebecca“. So lautet der Titel des Films, für den Alfred Hitchcock 1941 seinen einzigen Oscar in der Kategorie „bester Film“ erhielt. Bewusst in Schwarz-Weiß gedreht, war der Thriller ein Publikumserfolg.

Das Lichthof-Theater schreckt die prominente Vorlage nicht. „Rebekka – völlig frei nach Hitchcock“ betitelt es seine diesjährige Alternative zum Weihnachtsmärchen. Und schafft in der Regie von Marcel Weinand, mit Kompositionen von Eva Engelbach und einem Dutzend Laiendarstellern schaurig-schöne Unterhaltung irgendwo zwischen Gruseltheater und Geisterbahn. Der Abend ist, auch wenn man einzelne Protagonisten herausstellen kann, vor allem eine großartige Ensembleleistung.

Das Ensemble – bestehend aus absolut souveränen Amateuren – umgibt die zwei Hauptdarsteller Annie-Rose Cruz-Cao und Holger Lange so überzeugend mit zombiehafter Gruselatmo, dass sich der Zuschauer bald selbst auf Schloss Manderley wähnt. Dabei besteht Marcel Weinands puristische Bühne aus nicht viel mehr als ein paar in U-Form aufgestellten schwarzen Podesten. Dass diese zunächst ein Hotel an der Côte d’Azur simulieren – in dem die junge Frau ihrem Schicksal und damit Maxim de Winter begegnet – ist ebenfalls Ensemblearbeit. Wenn die Hotelpagen mit ihren roten Hütchen hinter den Podesten wie Kasperpuppen auf- und abtauchen, wenn Telefone läuten und altmodische Glocken bedient werden, ist schnell das Grand Hotel erzählt.

Nur wenig später verwandeln sich die Darsteller in das albtraumhafte Personal auf Manderley. Mit weiß geschminkten Gesichtern, schwarz unterlaufenen Augen, hoch geschlossenen, dunkelgrauschwarz gehaltenen Kostümen, beträchtlichen Haltungsschäden und inoperablen Sprachfehlern sind sie die schrecklichen Protagonisten eines Gruselkabinetts, denen man nicht einmal bei Tageslicht begegnen möchte. Doch die neue Frau de Winter (Annie-Rose Cruz-Cao) muss da durch. Und meist auch noch im Dunklen – gespenstisches Lautsprecherdröhnen inklusive.

Auf Schloss Manderley möchte man wirklich nicht sein. Kein Wunder, dass sich Cruz-Cao – herrlich überspannt, naiv und nervös! – fast den ganzen Abend lang an ihrer Zeichenkladde festhält. Cruz-Cao ist das gelebte Unwohlsein: Sie erstarrt beim fernen Tönen einer Standuhr genauso wie bei den Gesangseinlagen des Hauspersonals, die regelmäßig zu Spinettklängen erklingen. Mit spöttischen, klug-komischen Texten auf wechselweise Deutsch und Englisch („Toll, endlich mal wieder ein mascerade ball!“) unterbrechen und kommentieren sie die Handlung, schaffen Atmosphären à la „Rocky Horror Picture Show“ und Dracula.

Und natürlich darf bei einem Hitchcock-Film der Auftritt des Altmeisters nicht fehlen. Souverän unterbricht Darstellerin Sabine Noll hin und wieder den Abend, um mit gewichtiger Stimme Finten und dramaturgische Kniffe zu erläutern.

An diesem Abend ist mit wenigen Mitteln an (fast) alles gedacht. Allein bei der recht träge daherkommenden Gerichtsverhandlung am Schluss fehlten dem Team offenbar Chuzpe und Mut. Ansonsten: Kurzweil und Suspense – unterhaltsam, respektlos und erfrischend frei nach Hitchcock. Und erfrischend weit weg vom klassischen, saisonbedingten Weihnachtsmärchenalarm.

Do, 17. 12, 20.15 Uhr, Lichthof-Theater. Weitere Aufführungen: 18., 19., 25. + 26. 12.

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