Protokoll einer Beichte: Der Himmel muss leider warten
„Amen“. Ich schrecke auf. Der Holzboden quietscht unter meinen Füßen, der Pfarrer hat sein Gebet beendet. „Wann hast du zuletzt gebeichtet?“, fragt die Stimme aus der Dunkelheit. „Dieses Jahr noch nicht.“ Genau genommen: nie. Ich schaue demütig zu Boden, falte die Hände. Vielleicht ist das richtig. „Aber du glaubst an Gott?“. Ich nicke. Die erste Lüge.
Ich will wissen: Wenn mich Schuldgefühle plagen, hilft mir dann ein religiöses Ritual? Auch wenn ich gar nicht an Gott glaube? Der Pfarrer fragt, welche Sünden ich begangen habe. Ich überlege, was das eigentlich ist, eine Sünde. Dann beginne ich zu erzählen. Von einer Zugfahrt, einem älteren Mann und seiner Brieftasche, die er liegen gelassen hat. „Da waren fast 250 Euro drin.“ Der Pfarrer sagt kein Wort. Immer mal äußert er ein tiefes „Mhm“. „Die hab ich dann einfach mitgenommen. Ich hatte Geldprobleme.“ Die nächste Lüge. Er grummelt lauter. Es klingt, als würde ihm gefallen, was er hört.
Die Wahrheit ist: Ich habe die Geldbörse zum Fundbüro gebracht. Aber einen Moment dachte ein Teil von mir, sie einzustecken. Vielleicht ist das auch eine Sünde. Der Pfarrer schweigt. Ich suche seine Augen auf der anderen Seite des Gitters. „Das Beste, was du heute tun konntest, war, dich in die Gegenwart Gottes zu begeben“, sagt er. „Der Herr ist gnädig.“ Wieder spricht er ein Gebet, ich verstehe bloß Jesus Christus. Wie lange sitze ich eigentlich schon in dieser Holzkammer? Seine Stimme wird leiser. „Besinne dich heute Abend 25-mal auf Gott und er wird dir vergeben.“ Ich frage ihn, wie mir das die Schuld nehmen soll. „Wenn du später mal über Geld verfügst, zahle es zurück.“ An wen, sagt er nicht. Ungeduldig rutsche ich auf dem Stuhl hin und her. „Gehe hin in Frieden.“ Er macht das Kreuzzeichen, meine Hände suchen den Kaugummi in der Hosentasche. Ich stehe auf, gehe. Wenn ich vorher nicht schuldig war, dann jetzt.
Alexander Triesch
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