Ungewöhnliche Kooperationen

Kunst Ein Rundgang mit dem Trompeter Thomas Siffling durch die Stuttgarter Schau „I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920“

Kees van Dongen, Josephine Baker au Bal nègre, 1925, Aquarell auf Papier Foto: Kunstmuseum Stuttgart

von Carmela Thiele

In den 1920er Jahren galt Jazz in Europa als Inbegriff von Freiheit und Demokratie. Er kam aus dem gelobten Land, aus Amerika. Besonders die Künstler der Avantgarde begeisterten sich für den schrägen Sound, die peitschenden Rhythmen. Doch waren es Afroamerikaner, die diese Musik schufen, also Ausgegrenzte, die Nachfahren der Sklaven. „Diese Diskrepanz zwischen Sein und Schein“ empfindet der international aktive Jazztrompeter Thomas Siffling nach einem Rundgang durch die Ausstellung „I Got Rhythm“ im Kunstmuseum Stuttgart als die zentrale Botschaft. Stets in Anzug und Krawatte präsentierten sich die Musiker den Malern, doch in den USA hätten sie die Bühne durch den Hintereingang betreten müssen.

Die über drei Stockwerke verteilte Ausstellung mit sechs Stunden Hörbeispielen im Audioguide streift viele Themen und Zeitebenen. Selten in Deutschland zu sehen sind Jazz-Darstellungen von schwarzen Künstlern wie Romare Bearden oder Ernie Barnes. Doch ist der Einfluss des Jazz auf die bildende Kunst nicht immer so offensichtlich – sieht man einmal von den Clubszenen, Musikerporträts oder Saxofon-Stillleben ab.

Aber auch die sagen mehr aus, als man anfangs meint. Auf der Mitteltafel des monumentalen Triptychons „Großstadt/Metropolis“ von Otto Dix spielt eine Band auf, es wird Charleston getanzt, das Nachtleben boomt, draußen auf der Straße warten die Kriegsversehrten auf Almosen. „Die haben es richtig krachen lassen“, kommentiert Siffling. Das sei eben Entertainment gewesen in den ersten Jahrzehnten, ein spezielles Lebensgefühl, das über die Musik transportiert wurde. Dix feierte mit seinem Kritischen Realismus Mitte der 1920er Jahre in Berlin Erfolge. Es ist bekannt, dass er ein leidenschaftlicher Jazztänzer war, doch setzte er seine Nähe zur Musik über das Motiv um, seine formalen Mittel kamen noch von der Akademie.

Auch George Grosz spielte Banjo, hörte Ragtime, zeichnete aber selten entsprechende Themen. Selbst ein ruhiger Vertreter wie Constantin Brancusi soll Jazzplatten gesammelt haben. Viele dieser Details erfährt man aus dem inhaltlich wie typografisch ambitionierten Katalog. Im Subtext erzählt die Ausstellung vom Wandel der Jazz-Rezeption. Mit Filmausschnitten, Grafiken und einer Skizze auf einer Postkarte von Willi Baumeister wird die Euphorie abgehandelt, die Josephine Baker mit ihren tabubrechenden Tanz-Performances zu Jazz-Rhythmen Mitte der 1920er Jahre auslöste.

Jean Cocteau, Fernand Léger und Adolf Loos lagen dem dunkelhäutigen Glamourgirl zu Füßen. Harry Graf Kessler fand sie gleichzeitig „ultramodern und ultraprimitiv“. Thomas Siffling kann ihren Auftritten nicht viel abgewinnen. Dafür ist er von Marlene Dumas’getuschtem Baker-Bild aus dem Jahre 1997 fasziniert. Es zeigt die Ambivalenz der Kunstfigur der primitiven Wilden, die Baker gab, die Maske, aber zugleich den Rückzug aus dem zur Schau gestellten Körper in eine unantastbare Zone des Privaten.

Völlig neu sortiert sich die Liai­son zwischen Jazz und Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Informel und der Abstrakte Expressionismus die Szene beherrschten. Die Jazzmusik avancierte zur Kunst, dennoch blieben die Wechselwirkungen indirekt. So beschallte Jackson Pollock sein Umfeld laut Ehefrau Lee Krasner permanent mit Bebop, doch hörte der Maler bei der Arbeit keine Musik, hatte nicht vor, ein Äquivalent zu schaffen, wie es zwanzig Jahre zuvor Arthur Dove nach Gershwin-Kompositionen probiert hatte. Dass Ornette Coleman das Cover seiner stilbildende Aufnahme „Free Jazz: A Collective Improvisation“ 1961 mit einem Pollock-Bild zierte, kündete wiederum von dessen Auseinandersetzung mit der Malerei. Pollock bekam das allerdings nicht mehr mit; er hatte sich 1956 betrunken ins Auto gesetzt, was tödlich endete.

„Das hier krieg ich jetzt mit meinem Kosmos zusammen“, sagt der Jazz-Profi Siffling. Das gilt auch für Piet Mondrians „Studie für Broadway Boogie-Woogie“ von 1941. Und auch in Verena Loewensbergs gelb-orangefarben-roter Würfel-Komposition aus den späten 1950er Jahren entdeckt der Musiker sofort strukturelle Verwandtschaften mit Jazzformen. Die im Umfeld der Konkreten Kunst ausstellende Künstlerin führte zeitweilig einen Plattenladen, war offenkundig vom Jazz infiziert. Klaus Doldinger brachte das Bild 1963 auf sein Cover „Jazz Made in Germany“.

Die Wechselwirkungen von Kunst und Musik sind heute unbestritten

Zeit nehmen muss man sich für den Film „New York Eye and Ear Control“ des kanadischen Künstlers Michael Snow von 1964. Der Titel ist Programm: Die Kamera tastet sich durch das Dunkel. Schemenhaft sind Personen zu erkennen, die den – fast psychedelischen – 30 Minuten „Improvisation ohne Motiv“ des Saxofonisten Albert Ayler und seiner Freunde zuhören, die Snow als Soundtrack für seinen Film gewählt hat. Für Siffling kommen solche ungewöhnlichen Kooperationen nur auf persönlicher Ebene zustande. „Die haben eben gemeinsam abgehangen und es mal laufen lassen“, meint er.

Eine Spur wacher wird der Musiker vor den groovenden Sounds des Videos „Luanda-Kinshasa“ von Stan Douglas. Er verortet die Klänge gleich in den 1970ern, doch ist die Arbeit erst zwei Jahre alt. Und richtig, es handelt sich um ein Remake einer Aufnahme in den von ­Miles Davis bevorzugten, heute zerstörten Columbia Studios, die Douglas bis ins Detail nachbauen ließ.

Die Wechselwirkungen von Kunst und Musik sind heute unbestritten. Doch mit dem Jazz fing alles an, und er hatte das Zeug zur Differenzierung. Die Zeichen-Bilder von A.R. Pencks huldigen dem Primitiven, Blinky Palermos minimalistische Dreiecke in Schwarz und Weiß sind eine subtile Hommage an Thelonious Monk.

Bis 6. März, Kunstmuseum Stuttgart, Katalog 35/49,95 Euro