Die Verachtung des Sohns

Kino II Zwischen Mailand und Kalabrien: „Anime nere“ von Francesco Munzi

Die Geschichte dreier Brüder: Luigi verdient als Drogenhändler das große Geld in Mailand. Rocco hat sich damit eine Existenz als Bauunternehmer aufgebaut; nicht zuletzt, um Geld zu waschen. Luciano, ihr älterer Bruder, züchtet derweil in Kalabrien Ziegen. Er wäre nach dem Tod des Vaters, der von einer konkurrierenden Familie erschossen wurde, eigentlich das Familienoberhaupt, aber nichts liegt Luciano ferner. Die Geschäfte laufen gut für Rocco und Luigi, bis Lucianos Sohn Leo mit testosteronvernebeltem Hirn eines Nachts auf ein Kneipenschild im Dorf ballert.

Voller Verachtung für das unscheinbare Leben seines Vaters setzt sich Leo zu seinem angehimmelten Lieblingsonkel Lui­gi nach Mailand ab, während sein Vater sich mit dem Familienoberhaupt des konkurrierenden Clans trifft, um die Wogen zu glätten.

Francesco Munzis „Anime nere“ erzählt auf interessante Weise konsequent an einem Mafiafilm vorbei: statt einer Thrillerhandlung, wie man sie aus Serien wie „Allein gegen die Mafia“ kennt, widmet sich Munzi den Familienkonflikten in einer mäßig erfolgreichen Mafiafamilie. Luigi und Rocco haben im organisierten Verbrechen auf unterschiedliche Weise den Übergang ins Unternehmerdasein geschafft. In dem Bewusstsein, was er riskiert, scheut Rocco denn auch die Gewalt, die bei einem offenen Konflikt mit der Konkurrenz droht. Luciano wiederum kämpft gegen die Verachtung seines Sohns und dessen wachsende Faszination für Gewalt und Ehrgeschwafel.

Basierend auf Gioacchino Criacos gleichnamigem Roman entfaltet „Anime nere“ eine mehrfach abgeschirmte Männerwelt: Beim Familienessen beklagt sich Roccos Frau Valeria, dass sie den kalabrischen Dialekt der Brüder nicht versteht. Auch bei der Begegnung mit der Familie in Kalabrien bleibt die Norditalienerin Valeria außen vor. Letztlich bleiben auch Leo die Verhaltensregeln unklar, allen Bemühungen, seinen Onkeln zu imponieren, zum Trotz. Munzi zeigt eine Familie, in der das Schweigen angesichts der Konflikte zwischen den Brüdern ins Innere der Familie übergegriffen hat.

Diese Konzentration auf das Innenleben der Familie hat einen Preis: Die landesweite Ausbreitung und die europäische Vernetzung, die Voraussetzung des Geschäftsmodells der Mafia im Drogen-, Finanz- und Bausektor sind, bleiben außen vor. Deshalb tut man gut daran, „Anime nere“ weniger als Mafiafilm denn als Film über eine Mafiafamilie zu verstehen. Das ist geschickt auch deshalb, weil der Mafiafilm im italienischen Kino in etwa so originell ist wie der hundertste Nazifilm im deutschen.

„Anime nere“ ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es im italienischen Kino jenseits von Moretti, Sorrentino und Virzì nach Jahrzehnten des Kriselns derzeit wieder einiges zu entdecken gibt. Bedauerlicherweise erweist sich im Angesicht solcher Entwicklungen das deutsche Verleihwesen regelmäßig als schwerfälliger Dampfer.

Fabian Tietke

„Anime nere“. Regie: Francesco Munzi. Mit Marco Leonardi, Peppino Mazzotta u. a. Italien 2014, 109 Min. Ab 26. November im Kino