„Kein kirchlicher Widerstand“

Diskussion zum „Altonaer Bekenntnis“ von 1933

■ 62, in der evangelischen Akademie der Nordkirche verantwortlich für die Erinnerungskultur.

taz: Herr Hentschel, heute vor 80 Jahren verfassten 21 Altonaer Pastoren einen Text gegen totalitäre Machtansprüche. Was passierte mit ihnen, nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernahmen?

Ulrich Hentschel: Ein halbes Jahr später wurden der zuständige Propst Sieveking und zwei andere Pastoren in den Ruhestand gezwungen. Andere haben bald aus innerer Überzeugung mit den Nazis zusammengearbeitet. Deshalb ist das Bekenntnis ambivalent. Positiv ist, dass die Unabhängigkeit der Kirche gegen totalitäre Ansprüche proklamiert und gegen die Ersetzung Gottes durch religiöse Selbstinszenierungen protestiert wird.

Haben sie sich auch gegen die Verfolgung von Juden oder Oppositionellen geäußert?

In dem Bekenntnis gibt es kein kritisches Wort gegen den Antisemitismus. Man sucht auch vergeblich nach solidarisierenden Worten mit den Gewerkschaften und anderen aggressiv von den Nazis bekämpften Gruppen. Daran zeigt sich die konservative, in tiefer Loyalität zu deutschnationalen Vorstellungen stehende Ausrichtung der 21 Pastoren.

Sie warnen in diesem Zusammenhang vor einem Mythos des „Altonaer Bekenntnisses“.

Der Text wurde nach 1945 fälschlicherweise zum Ausdruck eines breiten kirchlichen Widerstands stilisiert. Den hat es nicht gegeben – im Gegenteil: Auch die nazikritischen Teile der Kirche haben weitgehend übereingestimmt mit dem politischen Programm der Nazis gegen die jüdischen Deutschen und Gewerkschaften und für den Krieg. Aber die drei Suspendierten sind nicht mit den Nazis zusammengegangen.

Was kann die Kirche daraus lernen?

Wir müssen immer wieder prüfen, wo wir mit dem politischen Mainstream mitgehen. Ich bin für eine strikte Unterscheidung von kirchlichem und staatlichem Handeln.  INTERVIEW: LKA

18 Uhr, Altonaer Rathaus